Noch immer schreitet die Wärmewende in Deutschland schleppend voran. Wie sich das so schnell wie möglich ändern lässt, thematisierte gestern die Veranstaltung „Grüne Wärmetransformation – Lösungen für Bestandsliegenschaften“ im Haus der Wirtschaft in Stuttgart. Dazu eingeladen haben das Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg, das Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE, das Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) der Uni Stuttgart und das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Teilgenommen haben mehr als 130 Personen, darunter vor allem Bauherren, Planungs- und Beratungsunternehmen, Expert:innen aus der Wissenschaft, Unternehmen aus der Energiewirtschaft sowie ausführende Firmen, die gebaute Lösungen für die grüne Wärmetransformation in Bestandsliegenschaften vorstellten und miteinander diskutieren.
Was die Klimaziele angeht, fehlt es nicht an ambitionierten Verkündungen: Die EU will mit dem Green Deal bis 2050 klimaneutral werden, Deutschland bis 2045, die Landesverwaltung Baden-Württemberg und die meisten Firmen bis spätestens 2030. Den wesentlichen Anteil an den Klimaemissionen verursacht der Gebäudebestand – von der Industrieproduktionshalle über die Logistikimmobilie bis zum Rathaus oder den Hochschulen. Und so wird die Energiewende, deren Fokus in den vergangenen Jahren vor allem auf der Stromerzeugung lag, nun auch für den Gebäudesektor immer dringlicher: „Sektorübergreifend muss der Gebäudebestand schnellstmöglich klimaneutral werden, vor allem also bei der Wärmeerzeugung per saldo praktisch kein CO2 mehr ausstoßen. Hier spielt die grüne Wärmetransformation eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Klimaneutralität. Während wirtschaftliche Lösungen für die regenerative Stromerzeugung mit Photovoltaik und Windenergie zur Verfügung stehen, fehlen sie noch für die grüne Wärmetransformation in Bestandsliegenschaften“, so Prof. Dr. Michael Bauer, Partner der Drees & Sommer SE.
Beitrag erneuerbarer Energieträger am deutschen Wärmeverbrauch noch viel zu gering
Mehr als die Hälfte des gesamten Endenergieverbrauchs macht in Deutschland die Wärmebereitstellung aus. Dazu zählen Raumwärme, Warmwasser, Prozesswärme oder auch die Wärme zur Kälteerzeugung. Neben Energieeffizienzmaßnahmen muss der Anteil erneuerbarer Energieträger eine viel größere Rolle einnehmen. Denn seit 2013 wächst der Beitrag erneuerbarer Energieträger am deutschen Wärmeverbrauch nur wenig. Derzeit beträgt er mit rund 17,4 Prozent nicht einmal ein Fünftel.[1] Was allein das Heizen angeht, kommt bei der Hälfte der Privathaushalte in Deutschland Gas und bei etwa weiteren 20 Prozent Heizöl zum Einsatz.[2]
Mit dem modifizierten Gebäudeenergiegesetz, auch als GEG oder Heizungsgesetz bezeichnet, ist nun klar, dass über kurz oder lang das Aus für Öl- und Gasheizungen kommen wird. Zwar wurde deren generelles Verbot und eine direkte Verpflichtung zur Wärmepumpe aufgehoben, der Kernbestandteil bleibt jedoch bestehen: Gemäß dem GEG müssen ab 2024 neu installierte Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. „Wie sich das am besten umsetzen lässt, ist immer auch eine regionale bzw. lokale Frage und hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab“, erklärt Bauer. Bei Drees & Sommer verantwortet er insbesondere den Bereich nachhaltige Energiekonzepte auf Gebäude- wie auch Quartiersebene.
Qual der Wahl? Kommunale Wärmeplanung schafft Klarheit
Im Rahmen des geplanten Gesetzes zur kommunalen Wärmeplanung müssen spätestens in fünf Jahren alle Kommunen in Deutschland Pläne vorgelegt haben, wie sie eine klimafreundliche Wärmeversorgung sicherstellen. Insbesondere geht es dabei um die Potenziale für den Anschluss von Gebäuden an Wärmenetze. „Für Eigentümerinnen und Eigentümer dient das auch als eine Art Planungsgrundlage auf Basis derer sie entscheiden können, welcher Heizungstyp sich am besten für ihr Gebäude eignet“, so Bauer. „In Städten und dicht besiedelten Gegenden ist der Anschluss an in Zukunft zunehmend klimaneutrale Nah- und Fernwärme eine sehr gute Lösung, um von fossilen Heizungen wegzukommen.“
Wenn der Anteil erneuerbarer Energieträger bei Fern- und Nahwärmenetze möglichst hoch ist, gelten sie nicht nur als umweltfreundlich, sondern lohnen sich oft auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Zum Beispiel entfallen die Kosten für die Anschaffung und Wartung der Heizungstechnik in einzelnen Gebäuden und die Investition in die zentrale Heizanlage verteilt sich auf alle angeschlossene Haushalte. Durch die gemeinsame Nutzung werden zudem die Anlagen besser genutzt und Potenziale voll ausgeschöpft. „Wenn jedoch kein Anschluss an Fernwärme- oder Nahwärmenetze mit wesentlicher regenerativer Energieerzeugung möglich ist, ist meistens die Wärmepumpe mit wirtschaftlichen und effektiven Wärmequellen und möglichst niedrigen Betriebstemperaturen die sinnvollste und zukunftsfähigste Lösung“, so Bauer.
Stringenter Plan für landeseigene Gebäude in Baden-Württemberg
Den Einsatz von Wärmepumpen will auch die Landesregierung Baden-Württemberg deutlich ausbauen, wie Prof. Kai Fischer, Ministerialdirigent im Finanzministerium des Landes berichtet. Dort leitet er die Abteilung Vermögen und Hochbau. Zu den Liegenschaften des Landes gehören rund 8.000 Gebäude mit etwa 12 Millionen Quadratmetern Gebäudefläche. Die Bauwerke stammen aus unterschiedlichen Baujahren, ein Teil davon ist denkmalgeschützt. „Unsere Landesgebäude spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den CO2-Ausstoß der Landesverwaltung zu senken. Denn bei der Landesverwaltung gehen 80 Prozent der CO2-Emissionen auf die Landesgebäude zurück, also Hochschulen, Polizeipräsidien oder Finanzämter. Die Landesverwaltung soll bis 2030 nettotreibhausgas-neutral werden. Wie die Landesliegenschaften dazu beitragen, haben wir in unserem Energie- und Klimaschutzkonzept[3] zusammengefasst“, erklärt Fischer.
So verzichtet die Landesregierung künftig auf Heizöl zur Wärmeerzeugung und ersetzt es in eigenen Heizzentralen bis 2028 durch Erneuerbare Energieträger. „Auch Erdgas setzen wir bei neuen oder zu modernisierenden Anlagen nur noch in Ausnahmen ein. Genauso setzen wir auch den Ausbau von Blockheizkraftwerken bzw. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die fossile Brennstoffe nutzen, nicht fort.“
Im Energie- und Klimaschutzkonzept des Landes sind zahlreiche weitere Maßnahmen aufgeführt: Für die 58 nicht-universitären Heizwerke mit einer Wärmeleistung über 1 MW werden aktuell Machbarkeitsstudien erarbeitet mit dem Ziel einer klimaneutralen Wärmeerzeugung. Photovoltaik auf den Landesdächern wird bis 2026 kräftig ausgebaut: So soll sich die PV-Fläche auf mindestens 250.000 m² verdoppeln und bis 2030 möglichst alle geeigneten Landesgebäude mit PV-Anlagen ausgestattet werden . Auch Solarparks an Hochschulstandorten sind angedacht genauso wie die Überlassung geeigneter Flächen für Freiflächen-Photovoltaik.
Auch Industrie vor gewaltigen Herausforderungen
Doch nicht nur den privaten Haushalten und der Öffentlichen Hand stehen enorme Herausforderungen bevor: „Auch die Industrie steht bei der grünen Wärmetransformation ganz am Anfang. Großwärmepumpen, Nah- und Fernwärmenetze, die Tiefengeothermie oder Abwärme aus Industrieprozessen und Abwasserkanälen werden die Wärmeinfrastruktur der Zukunft prägen. Ein effektiver Schlüssel zum Erfolg von Zero Carbon besteht auch in der Sektorkopplung. Hier werden Industrie, Mobilität, Wärme und Strom werden nicht mehr isoliert betrachtet, sondern interagieren miteinander“, betont Michael Bauer.
Beispielsweise begleitet das auf Bau, Immobilien und Infrastruktur spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer bereits mehrere Industrieunternehmen mit sogenannten Zero Carbon Transformationsplänen. Der Fokus liegt dabei darauf, Maßnahmen zur Energieeffizienz und Dekarbonisierung zu identifizieren und einen entsprechenden Handlungspfad zu erstellen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf allen zur Verfügung stehenden energiesparenden und regenerativen Technologien: ob energetische Sanierung von Gebäuden, E-Ladeinfrastruktur, Photovoltaik an Fassaden und auf dem Dach, Wärmepumpen, Nahwärme, Fernwärme, Windkraft, Wasserstoff-Technologie, Gebäudetechnik, Digitalisierungstechnik, Batteriezellen und Smart Grids oder möglichen Schnittstellen zur Produktion, wie zum Beispiel die Abwärmenutzung für Heizzwecke. Für Unternehmen bilden die Daten des Zero Carbon Transformationsplans außerdem eine hervorragende Grundlage für ein ESG-Reporting.
Abschließend stellte Michael Bauer fest: „Die für unsere Gesellschaft so wichtige Wärmewende können wir nur sektorübergreifend realisieren. Verschiedenen Industriezweige und alle an Bau und Infrastruktur beteiligten Akteurinnen und Akteure müssen sich intensiv austauschen, von ihren Strategien und Maßnahmen lernen und beginnen, sie idealerweise sinnvoll aufeinander abzustimmen. Nur gemeinsam können wir für die Klimaziele durch den Einsatz von regenerativer Energie etwa aus Sonne, Wind, Geothermie und künftigen grünem Wasserstoff viel bewirken."
[1]Energieverbrauch für fossile und erneuerbare Wärme | Umweltbundesamt
[2]Zum Heizen primär verwendete Energieträger 1. Halbjahr 2022 - Statistisches Bundesamt (destatis.de)
[3] Konzept für Klimaneutralität bis 2030 Energie- und Klimaschutzkonzept für landeseigene Liegenschaften: Klimaschutz fuer eine lebenswerte Zukunft (baden-wuerttemberg.de)