Kai-Uwe Wollenhaupt kennt den Automotive-Sektor wie seine Westentasche. Der Diplom-Ingenieur mit Abschluss an der RWTH Aachen blickt auf mehr als 30 Jahre Geschäftserfahrung mit Schwerpunkt im Automobilbereich zurück. Und er ist Kosmopolit: Kai-Uwe Wollenhaupt besetzte Schlüsselpositionen häufig mit globaler Gesamtverantwortung bei Unternehmen wie IVECO, ThyssenKrupp, LINAMAR, und TRW und war mehrere Jahre in den USA und in Asien tätig. Als President SVOLT Europe und Vice President SVOLT Energy Technology kümmert er sich um die Etablierung des Hightech-Unternehmens in Europa, inklusive Organisationsaufbau und der Errichtung von Produktionsstandorten.
Der Maschinenbauingenieur Maxim Hantsch-Kramskoj mit Abschluss an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW Saar) verfügt über mehrjährige Berufserfahrungen im Bereich Konstruktion und Entwicklung. Er bekleidete unterschiedliche Managementpositionen bei Automobilzulieferern wie LINAMAR und MAT Foundries Europe. Bevor er Anfang 2020 zu SVOLT kam, baute Maxim Hantsch-Kramskoj als Head of Business Unit Powertrain Assembly und Mitglied des Executive Management Teams von ABB Robotics in Deutschland den neuen Geschäftsbereich zur Automatisierung der Antriebsstrangproduktion mit auf
Herr Wollenhaupt, zu Ihren Aufgaben gehört es, Produktionsstandorte in Deutschland und Europa aufzubauen. Auf welche Hürden stoßen Sie dabei – vor allem angesichts der Tatsache, dass SVOLT ein Spin-off des chinesischen Automobilherstellers Great Wall Motors ist und man dort ja wohl andere Geschwindigkeiten gewohnt ist?
Wollenhaupt: Das Thema Geschwindigkeit muss man differenziert betrachten. Wenn wir über Technologieentwicklung reden, überholt China uns tatsächlich links und rechts. Das sieht man schön an der Batterieforschungsfabrik, die gerade in Münster entsteht. Die ist wahrscheinlich fertig, wenn die Forschung schon deutlich weiter fortgeschritten ist. Entscheidungen auf Managementebene fallen in Europa dagegen schneller. Bei der Standortsuche ist der chinesische Ansatz, sich wirklich alle in Frage kommenden Kandidaten physisch anzuschauen, während man nach dem europäischen Ansatz vorher analysiert hätte und dann nur zu den Top Five gegangen wäre. Ich war an 32 möglichen Standorten für unsere Zellfabrik. Dennoch ist es jedes Mal aufs Neue beeindruckend, welche Geschwindigkeit China aufnimmt, sobald die Rahmenbedingungen akzeptiert sind und eine Entscheidung gefallen ist. Das sollte unserer Industrie viel Respekt einflößen. In unserem Fall waren die Herausforderungen nach der Auswahl nicht mehr groß. Es ging alles relativ zügig, obwohl wir es mit einem Hochpreisstandort zu tun hatten und das Verständnis etablieren mussten, dass wir ein industriell hochentwickeltes und gleichzeitig nachhaltiges Umfeld und gut ausgebildete Leute brauchen.
Was war der ausschlaggebende Grund dafür, dass Sie ins Saarland gegangen sind und nicht in die neuen Bundesländer wie viele andere Zellfertiger, die wir als Drees & Sommer begleiten?
Wollenhaupt: Da gab es mehrere Faktoren. Ein Vorteil des Saarlands ist der dortige Strukturwandel. Wir haben uns bei der Standortentscheidung gefragt, wo eine Batteriefabrik auf fruchtbaren Boden fällt. Die logistische Lage sprach fürs Saarland, weil es nach Paris, München und Wolfsburg ungefähr gleich weit ist und die Infrastruktur mit der Autobahn und der Schienenanbindung passt. Wir brauchten ein Grundstück von mehr als 80 Hektar Fläche, die Verfügbarkeit von grünem Strom und die Möglichkeit, Photovoltaik-Felder aufzubauen. Das hätten wir in den neuen Bundesländern oder in Skandinavien natürlich auch bekommen. Das Zünglein an der Waage war letztlich die staatliche Unterstützung – nicht monetär, sondern in Sachen Glaubwürdigkeit. Ich hatte anderswo acht, neun Meetings von mehreren Stunden und war hinterher nicht an dem Punkt, an dem ich im Saarland nach eineinhalb Stunden war. Da haben wir sofort mit Entscheidungsträgern geredet, da ging alles sehr schnell und pragmatisch. Und das ist bis heute so.
Ihr Produkt ist ein wichtiger Baustein in der Mobilitätswende, geradezu ein Schlüsselelement. Sie arbeiten unter anderem daran, Lithium-Ionen-Batterien preiswerter zu machen. Wann rechnen Sie mit einem Lithium-Ionen-Batterie-Preis, der Fahrzeuge ermöglicht, die mit Verbrennungsmotoren preislich wettbewerbsfähig sind?
Hantsch-Kramskoj: Der batterieelektrische Markt hat sich im vergangenen Jahrzehnt radikal verändert. Wir kommen von Produktionskosten von 400 Euro pro Kilowattstunde auf Zellebene und sind derzeit bei 84 Euro für eine nickelbasierte Batterie. Das sind 80 Prozent weniger. Diese Reduktionskurve wird sich fortsetzen. Wir rechnen mit Marktinnovationen in zwölf bis 24 Monaten, die dazu beitragen werden, unsere Kathoden und Anoden weiterzuentwickeln und mehr Energiedichte in die Systeme zu bringen. Umgekehrt wird der konventionelle Verbrenner durch die Regulierung des CO2-Ausstoßes immer teurer. Wir rechnen mit einer Kostenparität zwischen einem BEV, also einem Battery Electric Vehicle, und dem Verbrennungsmotor bis 2025. Dann reden wir über Zellkosten von circa 65 Euro pro Kilowattstunde. Der zweite große Innovationsschub wird glaube ich kommen, sobald die technologischen Probleme im Bereich des Festelektrolyts gelöst sind, weil wir dann ein CO2-neutrales Produkt haben, ohne uns über Reichweite oder Schnelladefähigkeiten unterhalten zu müssen. Unsere Kunden sehen das auch. Alle haben verstanden, dass Elektromobilität wettbewerbsfähig ist.
Die Wettbewerbsfähigkeit ist das eine, die Nachhaltigkeit das andere. SVOLT ist angetreten, Lithium-Ionen-Batterien nachhaltiger gestalten zu wollen. Welche Ansätze verfolgen Sie dabei: Wollen Sie alternative Materialien zu Lithium und Kobalt einsetzen oder den Lebenszyklus verlängern?
Wollenhaupt: Grundsätzlich gilt: Wenn wir bei SVOLT über Nachhaltigkeit sprechen, sprechen wir über geschlossene Kreisläufe. Wir haben einen ganzen Blumenstrauß an Maßnahmen. Auf der Produktseite haben wir das Alleinstellungsmerkmal, als Erste kobaltfreie Hochnickellösungen anzubieten, während andere das Kobalt-Problem über Zertifizierungen lösen oder über Lithium-Eisenphosphat-Batterien, also mit einer Technologie von gestern und einer nicht wettbewerbsfähigen Energiedichte. In der Produktion arbeiten wir an Trockenbeschichtungsverfahren, um den Wasserverbrauch zu minimieren. Bei der Supply Chain halten wir uns aus Überzeugung an den Leitsatz „Local for Local“, weil wir dadurch einen besseren CO2-Fußabdruck bekommen und ökonomisch weniger Risiken haben. Wir setzen in unserer Infrastruktur auf 100 Prozent grünen Strom. Das war einer der Gründe, nach Deutschland zu gehen, weil wir hier sicher sein können, auch wirklich grünen Strom zu erhalten. Und natürlich wollen wir auch generell weniger Strom verbrauchen.
Hantsch-Kramskoj: Ich möchte noch zwei Punkte von der Produktebene ergänzen. Beim ersten geht es um hybride Elektrolyte. Die beste Batterie ist die, die nicht brennt, weil sie dann die Umgebung nicht kontaminiert. Nun ist aber Nickel hochreaktiv. Je höher der Nickelanteil ist, desto höher ist die thermale Propagation. Sie müssen also entweder den Nickelanteil reduzieren oder den Brand über eine Verkapselung des Elektrolyts verhindern. Wir haben die erste Generation einer solchen Lösung in der technologischen Validierung. Beim zweiten Punkt geht es um die intelligente nachhaltige Nutzung. Eine Batterie, die wir heute produzieren, hält 2500 Zyklen, also 1,2 Millionen Kilometer. So weit fährt kein Mensch mit einem Auto, also müssen wir über den Residual Value nach dem Ende des Lebenszyklus sprechen – und über den Zweiteinsatz, zum Beispiel in Energiespeichersystemen. Wir haben dazu eine SVOLT-Cloud entwickelt mit Predictive Algorithmus und sammeln Daten, um den Restwert der Batterie zu ermitteln, wenn wir sie nach fünf oder sechs Jahren in Gebrauch zurücknehmen. Diesen Wert müssen wir kennen, wenn wir unseren Kunden Leasingangebote für Batterien machen wollen.
Wer sind Ihre Kunden? Und wissen von diesen Ansätzen, die Sie eben beschrieben haben, auch Ihre Konkurrenten? Denn die schlafen ja sicher auch nicht.
Hantsch-Kramskoj: Wir haben OEMs aus Asia Pacific und Europa als Kunden, über die wir wegen klarer Geheimhaltungsvereinbarungen nicht sprechen dürfen. Aber über einen Kunden kann ich reden, das ist Great Wall Motors. Durch ihn haben wir neben der erwähnten kobaltfreien Batterie eine zweite Unique Value Proposition: Wir betrachten die Fahrzeugarchitektur und das Batteriesystem ganzheitlich. Unser tiefgreifendes systemisches Wissen hilft uns, die Automobilisten besser zu verstehen. Aktuell sind über 120.000 vernetzte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs, deren Daten über AI und Deep-Learning-Prozesse unsere algorithmische Ebene verbessern. Mit diesem Wissen bauen wir bessere Batterien als andere.
Werden Sie diese Vorreiterentwicklungen auch aus dem Saarland heraus vorantreiben oder passiert das alles in Asien?
Wollenhaupt: Die Asiaten sind in der Beziehung sehr viel fairer aufgestellt als wir Europäer das waren. Wenn wir uns zurückerinnern: Als europäische Unternehmen nach China expandierten, ging es weniger um High Tech, sondern um das, was man schon kannte. Wir erleben genau das Umgekehrte. Wir erhalten aus China die neueste Entwicklungsstufe, keine Technologie von gestern, sondern für morgen. Natürlich werden wir nicht alles im Saarland aufbauen, beim cloudbasierten Managementsystem wäre das nicht sinnvoll; das ist eine globale Angelegenheit, deren Schwerpunkt auch nicht in China liegt, sondern in Indien. Aber bei der Produktion werden wir die modernsten Technologien einsetzen. State of the Art: alles, was wir brauchen, um im europäischen Markt erfolgreich zu sein. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wollen wir im Saarland ebenfalls aufbauen.
Auch wir erleben, dass Europa einen hohen Stellenwert in der globalen Strategie chinesischer Unternehmen einnimmt. Wenn Sie die Produktion aus China hierher oder in die USA verlegen, ändert sich ja die ganze Supply Chain, weil nicht alle Zulieferer mitgehen oder von ihnen mitgenommen werden können. Was folgt daraus aus Ihrer Sicht?
Wollenhaupt: Der Trend, dass viele chinesische Unternehmen nach Europa kommen, rührt mit Sicherheit auch daher, dass eine sechs bis acht Wochen lange Lieferkette von China nach Europa langfristig nicht sinnvoll ist. Das läuft parallel mit einem Umdenken bei europäischen Firmen, die in der Corona-Krise Schwächen erkannt haben und enorme Geschwindigkeit aufnehmen. Es gibt viele Technologien, bei denen Europa sich nicht verstecken muss: Kupfer- oder Aluminiumfilme, Verdrahtung und Verkabelung, Behälter – das hier herzustellen ist alles kein Problem. In anderen Bereichen müssen wir in Europa aufholen. Aber da gibt es erste Lösungen: ein Joint Venture mit FMG in Finnland, Nornickel hat interessante Ideen, BASF verstärkt seine Aktivitäten, Umicore, Johnson Matthey. Alle haben bemerkt, dass sie Handlungsbedarf haben, getrieben durch EU-Regularien, aber auch durch den Push der Batteriehersteller, die Materialien brauchen. Wenn die Supply Chains teilweise von China nach Europa verlegt werden und mit ihnen die Cutting-Edge-Technologie hierherkommt, wird das Europa helfen, bald an vorderer Front mitzukämpfen. Etwas Ähnliches erwarte ich auch für die USA – allerdings mit ein paar Jahren Verzögerung.
Herr Hantsch-Kramskoj, Sie haben vor Ihrer Aufgabe bei SVOLT bei ABB das Thema Robotics forciert. ABB hat angekündigt, führender Hersteller für Cobots werden zu wollen. Inwiefern bringen Sie diese Aspekte auch bei SVOLT ein?
Hantsch-Kramskoj: Unsere Fabriken sind jetzt schon in einer Größenordnung von 85 bis 90 Prozent automatisiert. Die Entwicklung auf Hochvoltspeicherebene ändert sich gerade gravierend, da ist der Automatisierungsgrad innerhalb der Montage abhängig davon, wie das System aussieht und wie viele Hochvoltkollektoren benötigt werden. Die Zellproduktion an sich ist schon unglaublich hochautomatisiert. Da gibt es nur einzelne Prozesse wie das Beladen von Wickelmaschinen, die keine Firma auf dem Planeten automatisieren kann. Was ich ergänzend zu Herrn Wollenhaupt sagen möchte, ist: Wir können in Europa durchaus Lithium-Ionen-Batterien produzieren. Was wir noch nicht können, ist, einen hochvoluminösen Massenmarkt zu bedienen, das können die asiatischen Kollegen. Das müssen wir anerkennen und es hinkriegen, das herausragende Wissen in die Technologien zu transformieren, die wir hier anwenden. Dann gelingt es uns, in engster Zusammenarbeit mit unseren Kunden auf der Applikationsebene Lösungen zu schaffen, mit denen wir VW, Daimler, BMW und andere europäische OEMs für ihre Produkte vernünftig bedienen können. Dies triggert dann auch eine technologische Entwicklung in Zentraleuropa und Nordamerika. Daraus folgt eine automatische Transformation der Märkte weg vom konventionellen ICE-Antrieb (Internal Combustion Engine, Verbrennungsmotor) hin in eine NEV-Technologie (New Energy Vehicle, alternative Antriebstechnik) mit kollateralen Folgen: der Aufbau einer lokalen Supply Chain, der Aufbau von Mining und von Precursor-Technologien in der europäischen Zone. Neben dem Cashflow-Impact des Rohmaterials und der CO2-Auswirkung auf Produktebene ist die Frage entscheidend, wie schnell und innovativ ich als Hersteller in der Lage bin, meine Produkte zu entwickeln. Es gibt einen Grund, warum große Automobilhersteller anfangen, im Batteriebereich zu investieren: Die Entwicklung wettbewerbsfähiger Lösungen hängt am Verständnis dafür, wie eine Batteriespezifikation auszulegen ist und wie die Fahrzeug-Spezifikationen aussehen müssen. Das hat Tesla vorgemacht und das haben die deutschen und europäischen Hersteller verstanden. Mich freut das riesig. Das fördert eine gewisse Bewegung in Richtung CO2-neutraler Mobilität.
Wo sehen Sie die größten Entwicklungsherde und Perspektiven: In England? In Zentraleuropa?
Wollenhaupt: Erfreulicherweise kann ich Ihnen das gar nicht sagen, weil wir in Europa praktisch überall involviert sind. Es ist genau das Gegenteil dessen eingetreten, was ich prophezeit hätte, wenn Sie mich 2019 auf der IAA zu den Chancen eines chinesischen Batterieherstellers befragt hätten, der hier neu auf den Markt kommt. Wir rennen nicht gegen verschlossene Türen. Europa hat im Vergleich zu seiner früheren protektionistischen und ängstlichen Einstellung gelernt und zeigt großes Engagement. Auch dass wir uns hier nicht verzetteln zwischen Wasserstoff, hybriden Techniken oder der Batterie, weil Herr Diess von VW eine Riesenlanze für die Batterie gebrochen hat, belegt das. Weil der Markt in Europa so signifikant wird, werden wir über die Zeit hier auch eigene Entwicklungen erleben, die für China zunächst keine große Relevanz haben werden und bei denen wir uns dennoch irgendwann gegenseitig befruchten können. Was wir bei SVOLT zu zeigen versuchen, ist: Es gibt kein Gut oder Böse, es gibt nur Chancen.