In seinen 16 Jahren bei Toyota hat André Schmidt schon viele Funktionen innegehabt. Er war Managing Director von Toyota Schweden in Stockholm, als europäischer Marketingleiter unter anderem verantwortlich für den Aufbau der Motorsportaktivitäten von Toyota Gazoo Racing und zuletzt drei Jahre als General Manager Marketing bei Toyota Motor Nordamerika zuständig für das globale Marketing der coronabedingt ins Jahr 2021 verschobenen Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio. Am 1. Januar 2021 trat er seine neue Position als President der Toyota Deutschland GmbH an. Seine Wurzeln hat Schmidt in Bad Kissingen, er ist Absolvent der Universität Passau.
Herr Schmidt, Toyota baut am Fuße des Mount Fuji in Japan gerade die „Woven City“ – eine Stadt der Zukunft. Was sind die Hintergründe des Projekts?
Schmidt: Wir wollen in der Woven City Technologie, Mensch und Mobilität miteinander verweben mit dem Ziel, Smart Cities neu zu denken. Das Bild des Verwebens passt gut zu uns, weil Toyota nicht immer Automobilhersteller war. Unsere Gründungsväter haben erst eine Webstuhlfirma aufgebaut. Mit dem Projekt wollen wir Nachhaltigkeit auf ein neues, konkretes Niveau bringen, weg von der Worthülse – und damit der Gesellschaft etwas zurückgeben. Die Grundsteinlegung war Ende Februar. Wir haben eine alte Fabrik eingedampft und bauen auf der grünen Wiese eine ganze Stadt. Dort haben wir keine Barrieren wie in einer existierenden Infrastruktur, wo wir die Idee zum Beispiel um bestehende Gebäude herum hätten bauen müssen. Wir bauen die Stadt nicht nur physisch, sondern auch digital. Das ganze Design findet sich in einem Betriebssystem wieder. So können wir alle Services miteinander verbinden. Teil der Idee ist eine globale Kollaboration. Wir laden Firmen ein, in der Woven City Technologien als Pilotprojekt einfließen zu lassen. Die Architektur ist im wahrsten Wortsinn offen, nicht nur vom Design. Der Grundriss der Woven City sieht auch noch wunderbar aus.
Ließe sich eine solche Metropole auch in Europa aufbauen?
Schmidt: Ich kann mir schon vorstellen, dass in Europa solche Modellstädte mit einem kollaborativen Ansatz entstehen könnten, wenn ein Entwickler die Kernrolle übernimmt und die Unternehmen eine gemeinsame Basis haben. Man muss dann natürlich die rechtlichen Rahmenbedingungen anschauen und ein Funding aufsetzen. Toyota Deutschland ist eine Importeursgesellschaft. Wir würden es sicherlich nicht schaffen, morgen in Köln den Bau einer kompletten Woven City anzufangen. Allein der Anstoß dafür ist ein riesiges Investment. Aber die Erkenntnisse, die wir in Japan gewinnen, werden sich global wiederfinden – sei es im Fahrzeug, bei der letzten Meile oder in Softwarecodes. Wir pilotieren nicht nur, um das Gesamtkonzept zu erproben, sondern auch, damit Einzelelemente den Eingang in unterschiedliche Märkte finden.
Toyota ist mittlerweile der weltweit größte Automobilhersteller. Mit welcher Strategie wollen Sie sich Ihren Vorsprung sichern und auf dem europäischen und deutschen Markt mit all der hier ansässigen Konkurrenz erfolgreich sein?
Schmidt: Toyota ist vor allem in Nordamerika sehr stark. In Deutschland haben wir sicher noch Nachholbedarf, weil hier die deutschen Hersteller dominieren, aber insgesamt legen wir auf dem europäischen Markt schon eine gute Performance hin. Unser Yaris war in den ersten Monaten 2021 das meistverkaufte Auto in Europa – eine Riesenleistung für uns. Das liegt am verbauten Hybrid-Antrieb, der einfachsten Möglichkeit, alternativ zu fahren, ohne einen Stecker ins Fahrzeug stecken zu müssen. Die Transformation, in der wir uns befinden, mischt die Karten neu. Präferenzbildende Werte der Kunden für Hersteller verändern sich langsam, von PS oder Technologiefeatures weg in Richtung Nachhaltigkeit. Da liegen unsere Chancen, um noch erfolgreicher zu werden. In einer Imagestudie haben wir zuletzt in allen Bereichen Zuwächse erzielt. Trotzdem müssen wir innovativ bleiben. Wir wollen nicht „more of the same“ machen, sondern in Sachen Nachhaltigkeit und Elektrifizierung immer neue Angebote schnüren, die kein anderer Hersteller seinen Kunden bieten kann.
Welche Rolle spielt dabei der Toyota Mirai mit seiner Wasserstoffzelle?
Schmidt: Wir sind mit der Brennstoffzelle gegen den Trend des reinen Elektroautos unterwegs, weil es zu unserer Philosophie gehört, technologieoffen zu sein. Wir wollen unseren Kunden unterschiedliche Angebote machen. Da gehört das Elektroauto dazu, der Plug-in-Hybrid, der Vollhybrid und eben die Brennstoffzelle – auch wenn es für sie noch keinen Business Case gibt. Als unser Präsident 2015 den ersten Mirai vorstellte, hat er „Einer muss beginnen“ gesagt. Mittlerweile zeigen uns alle Daten, dass der Weg in die Kreislaufgesellschaft mit grünem Wasserstoff und ohne fossile Brennstoffe oder CO2-Emissionen der Richtige ist. Der European Green Deal und die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung geschaffen hat, sind ein hervorragender Nährboden für unsere Wasserstoffambitionen. Wir bekommen täglich Anfragen, ob wir nicht bei diesem oder jenem Entwicklungsprojekt dabei sein wollen und wir sind da offen. Wahrscheinlich werden wir von Mitte des Jahres an die Brennstoffzelle im Mirai separat vermarkten. So kann jeder, der einen Generator benötigt, sie nutzen und in unterschiedliche Applikationen verbauen.
Man sieht beim Wasserstoff gegenläufige Trends. Daimler produziert seinen GLC F-Cell nicht weiter, während in Japan nicht nur Toyota, sondern auch Hyundai auf Wasserstoff setzt. Liegt das daran, dass die japanische Strominfrastruktur nicht die Stabilität besitzt, um Elektroantriebe zu fördern?
Schmidt: Ich glaube nicht, dass Japan in Wasserstoff investiert, weil kein Vertrauen in die Netze besteht. Wir müssen die Elektrobranche und die Energieversorger als integralen Bestandteil der Energiewende sehen. Wo wird Energie heutzutage gespeichert, zum Beispiel von einem Windrad in der Nacht, wenn der Bedarf gering ist? Nirgendwo! Wasserstoff ist absolut geeignet, Energie zu speichern und zu transportieren. Japan ist einfach schon einen Schritt weiter. Es gibt keine fossilen Brennstoffe mehr auf der Insel, das muss alles importiert werden. Mit grünem Wasserstoff schafft man es, energieunabhängig zu sein.
Im Trendbericht von VDI/VDE war zu lesen, dass Nissan und Mitsubishi E-Fahrzeuge als Backups für Stromausfälle nutzen wollen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Macht das Toyota auch?
Schmidt: Wir haben ähnliche Ansatzpunkte wie unsere Mitbewerber, bauen aber auf die Elektrolyse und grünen Wasserstoff, weil wir dadurch flexibler sind bei der net/load-Balance als mit Batterien. In der japanischen Version besitzt der Mirai ein Outlet. Das Fahrzeug kann einen Haushalt fünf Werktage lang komplett mit Energie versorgen. Und wir haben jüngst den ersten Krankenwagen mit Brennstoffzelle vorgestellt, der nicht nur emissionsfrei fährt, sondern auch langfristige Energiequelle ist, wenn zum Beispiel nach einem der vielen Erdbeben in Japan das Netz ausfällt.
Toyota steht gleichermaßen für Zuverlässigkeit und Innovation. Wie schaffen Sie den Spagat, beides hochzuhalten?
Schmidt: Uns zeichnet aus, Konsistenz und Qualitätsorientierung auch in die Innovation zu bringen. Als alle angekündigt haben, dass es spätestens 2023 autonome Fahrzeuge vom Level fünf geben wird, haben wir gesagt: Das ist nicht realistisch, weil es nicht sicher ist. Wir sehen keine Möglichkeit, diese Technologie so schnell zu stemmen. Wenn wir etwas machen, muss es zuverlässig sein. Wir waren vor fünf Jahren der global erste Hersteller, der ein Sicherheitspaket als Standard ausgerollt hat: Toyota Safety Sense. Bei der Sicherheit wollen wir keine Abstriche machen, das muss funktionieren. Und es funktioniert, das sehen wir an der Unfallstatistik.
Das Motto der Themenreise 2021 lautet: „Aufbruch zur nachhaltigen Transformation“. Welches Transformationsthema steht bei Ihnen ganz oben und welches direkt darunter?
Schmidt: Es sind drei Themen: Die Zukunft sieht digitaler, CO2-neutraler und vielfältiger aus. In puncto Vielfalt gilt: Wir müssen dem Kunden das für ihn passende Angebot machen und dürfen nicht alle über einen Kamm scheren. Für die Langstrecke ist Wasserstoff der richtige Antrieb. Wenn ich nur in der Stadt fahre und in einem Mietshaus mit Ladestation wohne, ist es der normale Hybrid. Wenn ich täglich 50 Kilometer pendele, ist es der Plug-in-Hybrid. Die Kunden sollen entscheiden können. Der zweite Punkt ist die CO2-Neutralität. Wir kommen um die Elektrifizierung nicht rum. Deswegen haben wir im April ein neues Elektrofahrzeug vorgestellt. Die Digitalisierung ist die größte Aufgabe. Die Branche hat es über Jahre hinweg verpasst, Entwicklungen im Kundenverhalten in den Automobilvertrieb und die gesamte Wertschöpfungskette zu übersetzen. Bei uns ist die Digitalisierung jetzt ein Kernfokus in der Kundenreise. Da geht es um Connected Vehicles, um eine Weiterbetreuung im Lebenszyklus, aber auch immer um eine Toyota-spezifische, persönliche Ansprache. Einfach nur ein bisschen digital zu sein, indem ich mir eine spezielle Software anschaffe, ist relativ leicht. Alle Prozesse so zu verzahnen, dass für den Kunden ein einheitliches System und mit ihm ein Mehrwert wahrnehmbar ist, ist komplex. Aber das gehen wir an.
Wie viel Digitalisierung im Fahrzeug ist denn sinnvoll und wie viel hilfreich? Es existiert die Analogie des Autos als Smartphone auf vier Rädern. Trifft sie zu?
Schmidt: In Maßen, aber das impliziert ja, dass so ein Auto keine Seele mehr hat. Eine schöne Aussage unseres Präsidenten Akio Toyoda ist, dass ein Auto kein seelenloser Gebrauchsgegenstand sein darf, sondern Emotionen vermitteln muss. Da geht es bei der Digitalisierung beispielsweise um das, was man im Englischen „peace of mind“ nennt, es geht um eine Erleichterung des Lebens durch Connected Services, ums stressfreie Finden von Wegen, ums selbsttätige Einparken. Digitalisierung im Fahrzeug bedeutet nicht, dass der Autobauer nur noch Hüllenhersteller ist, er soll Inhalte weiter mitgestalten.
Haben Sie auch interne Transformationsthemen, zum Beispiel bei der Unternehmenskultur?
Schmidt: Absolut. Unser Motto entspricht dem der Olympischen Spiele: Start your impossible – durch Kreativität und flache Hierarchien. Nicht allein das, was ich gestern gemacht habe, ist wichtig, sondern auch mein Beitrag für die Zukunft. Wenn mich ein Mitarbeiter fragt, was Transformation ist, antworte ich ihm: Die Idee, die du nicht deinem Chef oder mir erzählt hast, weil du sie für zu gewagt empfunden hast. Die Idee, die wir uns anschauen müssen, um weiter voranzukommen.
Unsere Themenreise 2021 befasst sich auch mit der Frage, wie sich der Markt von morgen entwickelt. Wenn man die Innovationszentren in Kalifornien, Singapur, Tel Aviv oder Shenzhen betrachtet, haben die im Vergleich zum Standort Europa einen deutlichen Vorsprung. Was muss geschehen, damit sich das ändert und wie begegnet Toyota dem Innovationsdruck?
Schmidt: Da stellt sich die Frage, wie man Innovation definiert. Ob das nur die technische Seite betrifft oder auch Serviceinnovationen, getrieben vom Nutzerverhalten des Konsumenten. Wir haben für Letzteres die Mobilitätsmarke Kinto geschaffen mit all den Angeboten wie Carsharing und Ridehailing für die flexible Nutzung von Fahrzeugen. Auch so etwas fassen wir unter Innovation, auch so etwas benötigt Ressourcen, wenngleich nicht in dem Umfang wie etwa die Entwicklung superautonomer Fahrzeuge. Aber im globalen Bereich sind wir natürlich an allen großen Themen dran und wollen die Olympischen und die Paralympischen Spiele auch als Schaufenster nutzen, obwohl in Tokio keine internationalen Gäste dabei sein dürfen. Es wird kleine Roboter von uns geben, die Zuschauern mit Behinderung die Getränke bringen. Oder ein On-demand-Produkt namens e-Palette, das Schuhshop sein kann oder Pizzabäckerei. Mobilität heißt ja nicht unbedingt, dass ich mich physisch bewege, sondern kann auch bedeuten, dass der Service zu mir kommt.
Wann steigt Toyota in die Zellfertigung mit vielleicht ganz neuen umweltfreundlicheren Batterien ein? Wir fragen das vor dem Hintergrund, dass VW sein Joint Venture mit Northvolt beendet und angekündigt hat, selbst massiv in die Fertigung einzusteigen.
Schmidt: Da wir mit dem Prius Hybrid schon vor 25 Jahren begonnen haben, sind wir da längst aktiv – sowohl bei Nickel- als auch bei Lithiumbatterien. Wir haben ein Joint Venture mit Panasonic und dort eine eigene Fertigung. Das müssen wir also nicht neu starten. Der nächste Schritt, an dem wir dran sind, ist die Feststoffbatterie. Da gibt es noch nichts zu verkünden, aber da erwarten wir große Sprünge bezüglich der Aufladbarkeit, der Haltbarkeit und der Reichweite. Die Serienreife soll 2025 sein.
Wie sieht Ihre Prognose für 2021 aus und mit welcher Geschäftsaufteilung zwischen den klassischen Verbrennern und den Elektroangeboten rechnen Sie?
Schmidt: Die ganze Branche ist durch die Schließung vieler Autohäuser im aktuellen Lockdown in einer schwierigen Situation. Dennoch rechnen wir mit einem Rebound der Marktentwicklung nach der Öffnung. Wir werden dann unsere Elektro-Strategie fortsetzen und ein paar weitere interessante Produkte einführen. Der Yaris bekommt einen Bruder, einen kleinen SUV für den Urban Jungle, den wir nur mit Hybrid anbieten, da gibt es schon keine normalen Verbrenner mehr. In der Mittelklasse wird es zwei Hybrid-Varianten geben. Im Kleintransporter-Bereich geht die Elektrifizierung etwas langsamer voran, da ist der Diesel noch sehr stark, wobei die Umweltstandards immer höher werden. Aber auch da führen wir jetzt ein Elektrofahrzeug ein.
Herr Schmidt, zum Abschluss würde uns interessieren, ob Sie einen Wunsch an Drees & Sommer haben bzw. an die Planer der Städte von morgen? Was müssen diese Städte mitbringen, damit die zukünftige Mobilität funktioniert?
Schmidt: Das ist eine riesige Frage, die kann ich gar nicht ausführlich beantworten. Ich denke, was den Einwohnern nutzen wird, ist eine bessere Vernetzung der Verkehrswege inklusive Verknüpfung eines zuverlässigen ÖPNV. Wir müssen in den intermodalen Verkehrsansatz weiter investieren. Uns von Toyota geht es nicht darum, die Stadt mit möglichst vielen von unseren Autos zu verstopfen, sondern darum, sinnvolle Verkehrsträger für unterschiedliche Bereiche zu finden. Die Kollaborationen der Städte und der Unternehmen wird noch sehr wichtig werden.