Den Status Quo immer wieder herausfordern und disruptieren

Interview mit Dr. Nuri Morava, Head of Early-stage Innovation & Lab, DB Schenker 

Innovative Technologien, digitale Lösungen und Wissensaufbau  – das sind Themen, mit denen sich Nuri Morava seit Dezember 2022 als Head of Early-stage Innovation & Lab bei DB Schenker befasst. Davor war er schon fünf Jahre im Innovationsmanagement für den Logistik-Riesen mit seinen derzeit rund 73.000 Mitarbeitenden tätig. Nuri studierte Business Administration an der Universität zu Köln und promovierte an der RWTH Aachen.     

D&S: Nuri, als einer der führenden Logistikdienstleister weltweit seid ihr mittendrin in einem massiven Umbruch, der Themen wie Klimaneutralität, Digitalisierung und den globalen Wettbewerb betrifft. Wie blickst du derzeit auf das Umfeld der Logistikbranche?

Morava: Klimaneutralität, Digitalisierung und globaler Wettbewerb sind genau die drei Treiber, die uns momentan bewegen – Treiber für unser tägliches Geschäft und Treiber für unsere Transformation. Den Weg zur hin zur Dekarbonisierung haben wir längst eingeleitet und durch Maßnahmen in allen Transportarten begleitet. Bei der Digitalisierung geht es um Prozessmanagement und Prozesseffizienz, die darüber entscheiden,  gegenüber unseren Mitbewerbern einen Vorteil zu haben, wie und wie schnell wir Fracht bewegen. Und was den globalen Wettbewerb angeht: Da waren die vergangenen fünf Jahre extrem herausfordernd mit externen Ereignissen wie Covid, der Suezkanal-Krise und den vielen internationalen Auseinandersetzungen und Kriegen. Die globalen Lieferketten haben sich verändert. Kunden haben Nearshoring betrieben und Absatzmärkte näher an sich herangeholt oder sie haben sich einfach diversifizierter aufgestellt. Die Logistiker mussten darauf reagieren, mussten sich auch verändern. 

D&S: Wie sehen die neuen Wege aus, die dazu beitragen sollen, dass DB Schenker seine Ziele bei der Nachhaltigkeit erreicht?  

Morava: Unsere Kunden erfassen in ihren CO2-Reports die Scope-3-Emissionen ihrer Waren und Frachtbewegungen und wir wollen ihnen neue emissionsreduzierte Transportwege aufzeigen. In all unseren vier Business Units haben wir dazu Maßnahmen ergriffen, also sowohl beim Landtransport mit Lkws, der Seefracht mit Schiffen, der Luftfracht mit dem Flugzeug und bei unseren Hunderten an Warehouses. In allen Bereichen sind wir klein gestartet und skalieren immer weiter. Mittlerweile fahren zum Beispiel mehr als 400 E-Lkw bei uns – und das nicht nur im Nahverkehr, also praktisch auf der Last Mile, sondern auch im Schwerlastbereich zwischen einzelnen Hubs. 

D&S: Batteriebetrieben oder mit Wasserstoff?  

Morava: Es gibt inzwischen vereinzelt Lkw, die mit Wasserstoff angetrieben werdend. Batterieelektrische Fahrzeuge bilden aber mit deutlichem Abstand die Mehrzahl unseres Flottenbestands mit alternativem Antrieb. 

D&S: Wie sieht es in den anderen drei Bereichen aus?  

Morava: Im Bereich der Seefracht ist das Thema Sustainable Marine Biofuel ganz groß. Das heißt, wir arbeiten mit Reedereien zusammen, die für unsere Kunden emissionsreduzierte Transporte durch den Einsatz von Biokraftstoff anbieten. Das gleiche gilt für die Luftfracht. Durch Sustainable Aviation Fuel haben unsere Kunden die Möglichkeit von jedem beliebigen Flughafen der Welt unabhängig von Flugzeugtyp und Fluggesellschaft stark CO2 reduziert Fracht zu bewegen. Auf unsere eigenen Warehouses haben wir einen noch direkteren Einfluss. Da stellen wir Dinge um bei der Wasser- und Energieeffizienz, bei der Dämmung etwa, oder beim Thema Abfall und Recycling. Zur Wahrheit gehört auch:  Der Weg hin zur Klimaneutralität ist nicht billig. Es muss auch beim Kunden eine Zahlungsbereitschaft existieren, um die Mehrkosten stemmen zu können. Hier kommen wir Schritt für Schritt weiter.

D&S: Du bist Head of Early-stage Innovation bei DB Schenker. Was muss man sich unter deiner Unit vorstellen und wie treibt ihr die Transformation voran?

Morava: Die Early-stage Innovation befasst sich mit frühphasigen technologieorientierten Innovationen sowohl bei der Hardware als auch bei der Software. Wir haben aus dem Blickwinkel der Logistik Automated Guided Vehicles für unsere Warehouses und Terminals erprobt, genauso Drohnen und auch – wenngleich in einem sehr frühen Stadium – Hyperloop analysiert. Wir haben uns gefragt: Wo stehen diese Innovationen? Sind da Geschäftsmodelle vorstellbar? Und wenn wir uns einen Wert von den Innovationen versprechen, prüfen wir und gehen in die Pilotierung. Der Bereich Software ist auch sehr, sehr wichtig. Damit meine ich beispielsweise die smarte Steuerung unserer Prozesse und Entscheidungsfindungen: Tools fürs Staff Planning mithilfe historischer Daten und AI sind zum Beispiel große Effizienzhebel. Mit ihnen können wir unsere Ressourcen sehr viel besser nutzen und die Fracht schneller durch unsere Terminals bringen. 

D&S: Die Automatisierung ist generell ein wichtiger Punkt in der Logistikbranche, richtig? 

Morava: Viel wichtiger als früher. In der Logistik fallen die Gewinnmargen schon immer weniger stark aus als z.B. in der verarbeitenden Industrie. Deswegen sind große Investitionen in die Automatisierung in der Vergangenheit häufig ausgeblieben. Man sieht schon sehr, sehr große Unterschiede, wenn man unsere Terminals mit Produktionsstandorten von einem OEM im Automobilbereich vergleicht. Die Logistik nutzt Arbeitskräfte, teilweise ungelernt, für manuelle Prozesse. Mitarbeitende laufen durchs Lager, verbringen Fracht, scannen Sendungen ab, packen – alles sehr hands-on. Mittlerweile aber automatisieren wir unsere Warehouses immer mehr, aus zwei Gründen. Erstens ist die Automatisierungstechnologie günstiger geworden. Und zweitens fehlen Arbeits- und Fachkräfte, was auch unsere Branche extrem trifft. Wir versuchen, menschliche Arbeitskräfte von Tätigkeiten zu entlasten, die sich automatisieren lassen. So haben wir zum Beispiel im Land Transport in einem Cross-Dock-Terminal, das wir zum Ent- und Beladen von LKW nutzen und Sendungen sortieren, ein Projekt gestartet, bei dem die Sendungen autonom von AGVs sortiert und sequenziert werden.

D&S: Welche weiteren digitalen Technologien setzt ihr in der Logistik ein? 

Morava: Das ist ein wirklich großes Feld. Neben der Automatisierung gibt es noch drei weitere größere Bereiche, in die sich das aufteilen lässt. Den ersten nennen wir Operational Intelligence. Da geht es um Daten, um AI, darum, bessere Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu optimieren. Ein Brot-und-Buttergeschäft eines Logistikers ist die Disposition, also die Frage, wie ich Touren zusammenbaue und Lieferzeiten organisiere. In einer Schwesterabteilung von uns wurde kürzlich ein AI-Dispatching Tool mit einem erfahrenen Disponenten getestet und analysiert, welche Vorteile sich dadurch realisieren lassen. Selbst wenn das Tool nicht immer die perfekte Lösung liefert, kann ein erfahrener Mitarbeiter die finale Prüfung übernehmen und braucht so viel weniger Zeit für die Überarbeitung der Tour, als wenn er diese von Anfang an planen müsste. Ein weiteres Standbein der digitalen Transformation ist die Topline Intelligence. Das betrifft vor allem die Interaktion mit Kunden, die hohes Interesse an automatisierten Analysen und Reports, beispielsweise zu den Emissionsberichten ihrer Fahrten, haben – und zwar nicht nur auf Basis von Durchschnittswerten, sondern ganz konkret für einzelne Fahrten über die Truck-Telemetrie und ohne dass wir irgendwelche Excel-Listen zusammenbauen müssten. Und zu guter Letzt haben wir noch den Punkt New Digital Growth, der über optimierte Prozesse hinausgeht. Die Frage, die wir uns da stellen, ist: Kommen wir durch die Daten auch in die Lage, neue Kundensegmente anzusprechen oder neue Geschäftsmodelle aufzustellen? Und welche digitalen Tools können wir unseren Kunden anbieten, um deren Kundenerlebnis zu verbessern.  

D&S: Was wäre ein Beispiel für solche neuen Geschäftsmodelle? 

Morava: Ein Herzensthema in der Logistik ist der Wunsch, im Idealfall alle Sendungen global und in Echtzeit tracken zu können: Wo befindet sich die Sendung gerade? Wie ist die Luftfeuchtigkeit und wie ist die Temperatur an diesem Ort? Die Antworten sind nicht nur für unsere Kunden interessant, sondern eventuell auch für Versicherungen und deren Risiken, wenn zum Beispiel gerade irgendwo auf den Weltmeeren ein lokaler oder geopolitischer Konflikt ausbricht und sich die Frage stellt, wie es mit den Warenströmen aussieht. Sind die Reeder schon darauf eingestellt? Der Versicherer könnte solche Daten über DB Schenker bekommen und hat damit die Möglichkeit, selbst Geschäftsmodelle zu bauen.

D&S: Neue Geschäftsmodelle entwickeln und Kooperationen pflegen, das ist natürlich Musik in unseren Ohren. DB Schenker arbeitet auch mit dem Fraunhofer Institut zusammen. Was kannst du uns darüber verraten? Was versprecht ihr euch von dieser Zusammenarbeit? 

Morava: Wir kooperieren mittlerweile schon zehn Jahre mit dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund und mit dem Fraunhofer ISST Institut für Software und Systemtechnik, ebenfalls in Dortmund. Zusammen haben wir das DB Schenker Enterprise Lab gegründet. Der große Vorteil ist der Wissenstransfer. Wir holen Fraunhofer-Expertise zu uns, um unsere Inhouse-Kenntnisse zu erweitern. Wir beschäftigen uns mit Anwendungsfällen in der Logistik, für die es noch keine feste Abteilung gibt, weil der Schritt, für ein große, eigene Investition noch zu groß ist oder die Evidenz für einen Wertbeitrag fehlt. Fälle, zu denen wir in einem geschützten Raum Erkenntnisse generieren, um dann mehr Traction an ein Thema zu bringen – wobei ich geschützter Raum sowohl im übertragenen Sinn als auch physisch meine. Das Lab hat im Dortmunder Institut Räume, in denen wir zusammen Konzepte entwickeln, Hardware bauen oder programmieren und in den dortigen Logistikhallen testen können, ohne bei uns Betriebsabläufe zu stören. Der geschützte Raum macht wirkliche Innovation im Sinne von Forschung und Entwicklung möglich – und zwar genau die Early-stage Innovations, die eine höhere Failure Rate haben als kleine inkrementelle Verbesserungen. Genau für sie ist das Lab gedacht.

D&S: Kannst du uns ein paar Beispiele für diese Innovationen nennen? 

Morava: Ein Beispiel heißt VisionGate. Das Tool erkennt automatisiert das Kennzeichen, den Hersteller, die Wechselbrücken-ID, den Zustand und das Corporate Branding von Lkw während sie auf unser Geschäftsstellengelände kommen – ohne dass der Fahrer vor einer Schranke halten muss. Das Terminal of the Future habe ich vorhin schon angerissen: AGVs verbringen in einem Landterminal Sendungen und fahren dabei durch ein Scan-Gate, das Barcodes und die Dimensionen der Sendungen erfasst. Oder das System AI Video Analytics in der Kontraktlogistik. Es registriert Sendungen und priorisiert sie für die Lagerung in der Kontraktlogistik durch die Erfassung via Kameras. Das gewährleistet Transparenz und führt zu einer höheren Effizienz, weil wir den Einlagerungsprozess besser verwalten und die Dock-to-Stock-Zeiten verkürzen können.

D&S: Zum Abschluss noch ein Ausblick: Welche Strategien verfolgt DB Schenker generell für die Zukunft der Logistikbranche? 

Morava: Einige wichtige Punkte haben wir besprochen: Wir wollen Vorreiter auf dem Weg zu klimaneutralen Transporten und Lagerung sein und mithilfe der Digitalisierung unsere Prozesse optimieren. Daher auch das hohe Maß an Kundenzentrierung. Wir stehen im engen Austausch mit unseren Kunden, wir führen Interviews mit ihnen, um ihre Erwartungen, Visionen und Herausforderungen zu erfahren und berücksichtigen zu können. Das alles funktioniert nur, wenn du als Unternehmen eine Mitarbeiterkultur aufgebaut hast, die das volle Potenzial jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters freisetzt. Und: Wenn du den Status quo immer wieder und immer weiter herausforderst und überprüfst. Das tun wir. Um möglichst effizient und emissionsarm aufgestellt zu sein – und um unsere Marktposition zu stärken.