
Innovationen schaffen Zuversicht
Interview mit Sabine Nallinger, Vorständin Stiftung KlimaWirtschaft
Als Stadträtin widmete sich Sabine Nallinger in München von 2008 bis 2020 vor allem energie-, stadtentwicklungs- und verkehrspolitischen Themen. In der bayerischen Landeshauptstadt, an deren Technischer Universität sie studierte, war sie zudem 13 Jahre lang als Stadtplanerin und in der Stabsstelle Strategische Planungsprojekte der Stadtwerke tätig. Seit 2014 ist Sabine Vorständin der gemeinnützigen Stiftung KlimaWirtschaft (vormals Stiftung 2°). Dazu ist sie in zahlreichen Gremien aktiv, unter anderem als Aufsichtsratsmitglied bei der sustainable AG und Mitglied im Fachbeirat beim Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) sowie als Mitglied im Beraterkreis der Fraport AG.
D&S: Sabine, ihr seid mit der Stiftung KlimaWirtschaft seit diesem Jahr ideeller Partner unseres Themen-Dialogs. Stell doch bitte die Stiftung kurz vor. Was sind eure Ziele?
Nallinger: Ein Kollege von BMW meinte mal zu uns: Ihr seid die Speerspritze des unternehmerischen Klimaschutzes. Das bringt es gut auf den Punkt. Bei uns sind Unternehmen verschiedener Branchen und Größen dabei, Konzerne genauso wie der Mittelstand. Wir treiben das Thema unternehmerische Klimaneutralität mit konkreten Umsetzungsprojekten entlang von Wertschöpfungsketten voran, aber vor allem durch politische Positionspapiere. In denen schreiben wir, welchen politischen Rahmen, welche Verlässlichkeit, welche Gesetze und Verordnungen Unternehmen brauchen, damit aus tollen Ideen tragende Geschäftsmodelle werden. Manchmal werden wir auch laut. Dann bekommen unsere Appelle die Medienaufmerksamkeit, die es braucht, um etwas zu pushen.
D&S: Ein interessanter Aspekt ist, dass ihr euch als Stiftung ja schon einige Zeit engagiert.
Nallinger: Stimmt. Wir sind jetzt im 18. Jahr, haben uns damals aus der Wirtschaft heraus gegründet durch Vorstandsvorsitzende, Familienunternehmer und Geschäftsführer, die in der Verantwortung für unternehmerische Klimaneutralität stehen und unsere Stiftungsarbeit auch heute noch tragen.
D&S: Euer Leitmotiv lautet: Wettbewerbsfähigkeit braucht Klimaschutz. Was bringt euch zu dieser Überzeugung?
Nallinger: Klimaziele sind aus unserer Sicht eigentlich Innovationsziele. Wir müssen unsere Produkte und Produktionsprozesse neu erfinden und mit den Klimazielen vereinbar machen, müssen praktisch alles auf den Kopf stellen, was wir bisher gemacht haben. Das geschieht auch. Wir stellen eine starke Elektrifizierung in der Industrie fest. Wir stellen fest, dass sich viele Branchen auf den Weg machen, um möglichst viele Ressourcen im Kreislauf zirkulieren zu können. Diese neue Herangehensweise an das Wirtschaften führt zu mehr internationaler Wettbewerbsfähigkeit, weil grüne Zukunftstechnologien nachgefragt werden. Damit meine ich nicht nur erneuerbare Energien – Elektrolyseure, Batterien, elektrische Autos. Ich meine gerade auch herkömmliche Produkte der Grundstoffindustrie wie Zement, Stahl und Kupfer, die künftig klimaneutral hergestellt werden müssen. Im Wettbewerb sind wir in Deutschland aufgrund unserer hohen Energiepreise, der hohen Lohnnebenkosten und so weiter häufig nicht konkurrenzfähig. Aber wir können uns einen Namen machen, indem wir Vorreiter werden und etwa grünen Zement oder grünen Stahl produzieren.
D&S: Sind die erneuerbaren Energien der Motor für die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität?
Nallinger: Ja. Fast alle Industrien brauchen grünen Strom und Wasserstoff, um klimaneutral zu werden. Unsere Konzerne stehen kurz davor, grünen Stahl zu produzieren und klimaneutralen Zement. Aber natürlich sind diese Materialien anfangs teurer als die herkömmlichen. Deswegen ist es unheimlich wichtig, Leitmärkte für sie zu schaffen, Quoten zu haben, damit diese Produkte auf den Markt kommen. Wir hätten einen riesigen Hebel: Weit über die Hälfte der Grundstoffe wie Stahl und Zement werden von der öffentlichen Hand für Infrastrukturprojekte nachgefragt. Hier könnten wir hochskalieren und dadurch die Produkte kostengünstiger und wettbewerbsfähiger machen.
D&S: Du hast es jüngst in einem Interview beunruhigend genannt, dass deutsche Unternehmen vermehrt im Ausland investieren, während ausländische Investitionen hierzulande deutlich niedriger sind. Lässt sich diesem Trend entgegenwirken?
Nallinger: Den Satz habe ich noch vor Donald Trumps Wahl gesagt. Heute muss ich anerkennen, dass unsere gesamte Weltordnung auf den Kopf gestellt ist. Wir alle sind groß geworden mit dem transatlantischen Bündnis. Das war ein stabilisierender Faktor. Es gab Wirtschaftsbeziehungen, es gab Austausche, die USA waren ein konstanter Partner. Das ist weggefallen – von heute auf morgen. Donald Trump hat uns Europäern klargemacht, dass er das Spiel mit uns nicht mehr weitermachen möchte, dass er sich neue Verbündete sucht. Wir stehen dadurch vor einer neuen Thematik und der Wettbewerb der Märkte ist gerade immens. Ich war Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz und habe mit Menschen verschiedener Länder gesprochen, unter anderem mit indischen Unternehmern. Die haben deutlich gesagt: Wenn ihr in Europa jetzt nicht ganz bald in die Puschen kommt und eure Produktion und eure Produkte wirklich zukunftsfähig aufstellt, dann suchen wir uns neue Märkte. Wir sind schon im Gespräch mit Australien.
D&S: In die Puschen kommen – wie kann das funktionieren?
Nallinger: Was wir brauchen, sind mutige Investitionen in Innovation. Es muss ein Ruck durch die Wirtschaft gehen. Die Unternehmen müssen sich genau überlegen, wo sie ihr Kapital investieren. Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, dass das eine oder andere Unternehmen schon sehr stark auf alte herkömmliche Technologien gebaut hat, vielleicht auch zu viel ausgeschüttet hat statt in Zukunft zu investieren. Aber das können wir in Deutschland ändern. Wir sind immer noch führend in Forschung und Entwicklung. Wir haben hervorragende Hochschulen, hervorragende Menschen, mutige Unternehmer und Unternehmerinnen. Und weil es darum geht, dass alle an einem Strang ziehen, setze ich sehr auf die neue Bundesregierung als einen verlässlichen Partner. Die Politik muss Programmatiken einhalten. Es ist Gift für die Wirtschaft, wenn es mal heißt Verbrenner-Aus an und dann wieder Verbrenner-Aus aus oder wenn das Heizungsgesetz eingeführt und dann wieder zurückgenommen wird.
D&S: Ihr habt Anfang 2021 vor den vorletzten Bundestagswahlen mit zwölf Industrieunternehmen wie BASF, Bayer und Heidelberg Materials, dem Thinktank Agora Energiewende und dem Beratungsunternehmen Roland Berger zwölf Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung veröffentlicht. Was ist davon umgesetzt worden?
Nallinger: Ich habe damals gehört, dass unser Paper wirklich die Bibel im Bundestag für Industriepolitik war. Wir haben dank der Stärke der beteiligten Konzerne und durch die Fachlichkeit viele wichtige Themen adressiert. Aber was davon umgesetzt worden ist? Nun, was die Ampelkoalition auf der positiven Seite hat, ist der massive Ausbau erneuerbarer Energien, vor allem Solar, aber auch Wind. Dass sie das Thema Wasserstoffkernnetz angegangen sind, dass sie das Thema CO2-Preis angegangen sind, der in der Zeit noch mal erheblich gestiegen ist. Die Klimaschutzverträge CCfD, also Carbon Contracts for Difference, bei denen der Staat Mehrkosten klimafreundlicher Produktionsverfahren gegenüber herkömmlichen Verfahren ausgleicht und so Risiken für Unternehmen abmildert, sind ein ganz wichtiges Instrument. Das haben wir massiv gepusht, mit Stimmen aus der Wissenschaft und der Wirtschaft, was sicher mit dazu geführt hat, dass die Ampelkoalition das umgesetzt hat. Also ich würde sagen, das war wirklich eine sehr, sehr erfolgreiche Studie, die zeigt, wie wir arbeiten: die richtigen Verbündeten holen, die sich Gehör verschaffen in Berlin und in Brüssel, sehr dezidiert mit viel Liebe zum Aushandeln. Die Branchen haben ja unterschiedliche Anforderungen. Als Stiftung versuchen wir immer einen Konsens zu bilden. Das ist uns, glaube ich, auch in diesem Fall wieder gut gelungen.
D&S: Mal Hand aufs Herz, Sabine: Wo steht die deutsche Wirtschaft wirklich beim Klimaschutz?
Nallinger: Da sehe ich viel Licht und Schatten. Wie schon gesagt: Wir sind sehr gut in Forschung und Entwicklung. Robert Bosch war mal führend in der Batterietechnik. Wir waren führend bei den Solarmodulen, bei der Windenergie, bei der Gebäudetechnologie und in vielen anderen Bereichen und Branchen. Was uns nicht gelungen ist und weiterhin nicht gelingt, ist daraus ein Markthochlauf hinzubekommen, der den Unternehmen Wirtschaftlichkeit garantiert. Das liegt häufig am fehlenden verlässlichen Rahmen durch die Politik. Bis vor einigen Jahren war Industriepolitik ein Schimpfwort. Da hieß es, das sollen die Unternehmen alles alleine machen. Heute ist man schlauer, weil die Wirtschaft sich in einer solchen Geschwindigkeit verändert, dass Unternehmen aus eigener Kraft gar nicht nachkommen. Wir brauchen einen dezidierten politischen Rahmen, der feststeckt, welche Industrien wir uns in Zukunft in Deutschland vorstellen. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass Unternehmen verunsichert sind, ob ihr Geschäftsmodell in ein paar Jahren in Deutschland überhaupt noch nachgefragt wird oder sich der deutsche Markt mit Billigprodukten aus anderen Wirtschaftsräumen versorgt. Zum Beispiel steht die Frage im Raum, ob wir bei der sehr energieintensiven Ammoniakproduktion im internationalen Wettbewerb weiter bestehen können. Es wird jetzt also wirklich darauf ankommen, dass die nächste Bundesregierung eine stabile Industrie- und Wirtschaftspolitik vorlegt und genau sagt, was bei uns weiterhin eine Chance hat. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir gut daran täten, uns resilienter aufzustellen. Dass wir Grundstoffe weiterhin in Europa und Deutschland produzieren, um uns ein Stück weit unabhängiger zu machen und dass wir uns gleichzeitig verlässliche Partner suchen und ihnen verlässliche Abgabemengen nennen. Partner, die uns von ihrer politischen Kultur nahe sind.
D&S: Die Appelle an die Politik sind ja das eine. Müssen aber nicht auch die Verbraucherinnen und Verbraucher Bereitschaft zeigen, für Klimaneutralität höhere Preise zu bezahlen? Braucht es auch da ein Umdenken, eine andere Haltung?
Nallinger: Na ja, die Verbraucherinnen und Verbraucher mussten zuletzt ziemliche Preissteigerungen verkraften, die Gesellschaft fragt sich mittlerweile, was man sich alles noch leisten kann und was nicht. Wenn jetzt sozusagen on top das Thema Klimaneutralität kommt, glaube ich, dass wir nicht bei allen Bevölkerungsschichten auf Akzeptanz stoßen. Wir müssen günstiger werden, das hat mit der Economy of Scale zu tun. Es geht also vor allem darum, die Kosten zu verteilen, es sollen ja auch Einnahmen aus den Emissionsabgaben in Form von Klimageld wieder an die Bevölkerung zurückgeführt werden, wobei es aus unserer Sicht unheimlich wichtig ist, dabei auf soziale Aspekte zu achten, um letztlich alle mitzunehmen, statt das Klimageld mit der großen Gießkanne auszuschütten. Ich muss aber ganz ehrlich betonen, dass ich mit Blick auf unseren Weg hin zu Klimaneutralität insgesamt sehr zuversichtlich bin.
D&S: Ach ja? Wie kommt’s?
Nallinger: Ich bin zuversichtlich eben, weil ich gesehen habe, was in den letzten Jahren an Innovationen alles gelaufen ist, wie die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig geworden sind, was sich in der Kreislaufwirtschaft tut, wo wir wirklich sehr klug mit unseren Ressourcen umgehen und damit Stahl und Kunststoffe und Glas und Kupfer und alles wesentlich günstiger machen können. Das Verständnis der Bevölkerung dafür, dass vielleicht das eine oder andere Produkt etwas teurer wird, kommt ganz zum Schluss, eingebettet in einen größeren Kontext. Das ist nicht der eine Punkt, den wir hervortun müssen.
D&S: Sabine, du hast in dem Gespräch schon ein paar Wünsche geäußert. Einen letzten wollen wir dir zum Abschluss noch geben. Was braucht es noch, um unsere Klimaziele zu erreichen?
Nallinger: Eine andere Debatten- und Gesprächskultur. Wirtschaft, Politik und unterschiedliche Initiativen der Bevölkerung sind sich in ganz vielen Punkten einig, dass wir lebenswerte Städte und eine lebenswerte Umwelt wollen, dass Biodiversität und Artenvielfalt erhalten bleiben sollen. Wir wissen, in welche Richtung wir wollen und in welche es gehen muss. Der konstruktive Austausch, damit das auch tatsächlich zum Tragen kommt, ist in den letzten Jahren aber verloren gegangen. Wenn wir es hinkriegen, das zu ändern, wenn die neue Regierungskoalition klarere Ansagen macht, ohne die Wirtschaft und die Bevölkerung aus dem Auge zu verlieren, dann werden wir in der nächsten Legislaturperiode weit kommen.