Uwe Laudenklos‘ berufliche Laufbahn begann im Jahr 1993 nach dem Studium der Energie- und Automatisierungstechnik an der TH Mittelhessen und einem MBM an der Freien Universität Berlin bei ABB Industrietechnik AG im Geschäftsbereich Chemie, Öl und Gas. Nach verschiedenen Key Account und Leitungsfunktionen wechselte er 2004 als Direktor Vertrieb & Marketing Zentral- und Osteuropa und Mitglied der Geschäftsleitung zur Invensys Systems GmbH Deutschland. 2005 wurde er Direktor Sales & Marketing für Low Voltage Products bei der ABB Automation Products GmbH, wo er 2008 zum Sales Director Measurement Products für Deutschland, Osteuropa, Baltikum und Zentralasien aufstieg. Im Jahr 2011 erfolgte der Wechsel als Geschäftsführer Marketing & Sales zur ABB STOTZ-KONTAKT GmbH, den Vorsitz der Gesellschaft übernahm er 2012.
Herr Laudenklos, in einem Impulsvortrag bei unserem Themendialog zur „Mission to Zero“ sprachen Sie von einem Dreiklang Ihrer Rollen als Unternehmer, Vater und Mensch. In welchen Rollenkonflikt kommen Sie, wenn Sie aus diesen drei Perspektiven in die Zukunft schauen?
Laudenklos: Unabhängig von meinen Rollen leiten mich drei Fragen. Erstens: In welcher Welt möchten wir leben und wie wollen wir sie den nachfolgenden Generationen hinterlassen? Zweitens: Wie gelingt es uns immer wieder neu, Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit so zu vereinbaren, dass Wohlstand, Nachhaltigkeit, Wertschöpfung und Arbeit möglich sind? Und drittens: Wie werden sich Europa und Deutschland entwickeln: Bleiben wir an der Spitze technologischer und gesellschaftlicher Innovation oder werden wir im Kampf der Großen das Nachsehen haben und als Datenkolonie und Absatzmarkt am Ende des Feldes mitfahren? Das Zusammenspiel von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit ist für mich wesentlich. Das ist der eigentliche Dreiklang, den ich anstrebe. Und da spricht nicht nur der Unternehmer aus mir, sondern auch der Vater und der Mensch. Rollenkonflikte sehe ich nicht, im Gegenteil: Jede der Perspektiven birgt die Chance, die Herausforderungen unserer Zeit und ihre komplexe Tragweite ganzheitlich zu erkennen und eigene Handlungsmöglichkeiten abzuleiten. Als Unternehmer habe ich die Verantwortung für Menschen und ihre Arbeitsplätze. Die Grundlage dafür, sie zu sichern, ist wirtschaftlicher Erfolg. Als Vater trete ich in einen Dialog mit meinen Kindern über den Wertekatalog, der mich prägt und den ich gerne weitergeben möchte. Und als Mensch erschüttert mich der Zustand unserer Erde und drängt es mich, einen eigenen Beitrag zur Besserung zu leisten.
Der von Ihnen erwähnte wirtschaftliche Erfolg darf dementsprechend nicht zulasten kommender Generationen gehen?
Laudenklos: Richtig. Wir stehen vor einer grundlegenden Veränderung unserer Lebenswelt und einem umfassenden kulturellen Wandel. Das erleben wir sehr eindrücklich bei allen Fragen und Ansichten rund um das Thema Mobilität. Die Glaubensgrundsätze der Unternehmensführung werden gerade neu überprüft und ausgehandelt. In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es undenkbar, Nachhaltigkeit als wesentliches Element in Unternehmensstrategien zu verankern. Heute ist das für mache Investoren ein Faktor von maßgebender Bedeutung. Es wäre töricht, das zu vernachlässigen. Nachhaltigkeit sollte keine bunte Werbebotschaft sein, sondern ernsthaft und authentisch hinterlegt im Wertekanon und den umgesetzten Initiativen eines Unternehmens.
Und damit der Wandel gelingt, braucht es das Zusammenspiel aller Akteure?
Laudenklos: Ganz genau. Der Wandel braucht den Diskurs und die Kooperation aller Beteiligten, auch der Unternehmen. Wir haben in Europa und besonders in Deutschland ein starkes industrielles Fundament. Innovationskraft gehört zu unserer DNA, die Entwicklung der Impfstoffe während der Pandemie hat das wieder bestätigt. Darüber hinaus hat spätestens die Digitalisierung für ein Verschwimmen früherer Sektorengrenzen gesorgt, allen voran der Grenzen von Hard- und Software. Beides ist untrennbar miteinander verbunden, bei der Industrie 4.0, im smarten Gebäude oder in der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität. Wertschöpfungsanteile verschieben sich dadurch, Software und Services gewinnen auch in früher sehr hardwarelastigen Branchen an Bedeutung. Das alles erfordert ein hohes Maß an Kollaboration beim Suchen und Finden praktikabler Lösungen.
ABB kooperiert und kollaboriert unter anderem mit Amazon Web Services. Gemeinsam entwickeln Sie eine cloudbasierte, digitale Lösung für das Echtzeitmanagement von Elektrofahrzeugflotten. Mit welchem Ziel?
Laudenklos: Wir streben eine kompatible Flottenmanagementlösung für alle Fahrzeugtypen und Ladeinfrastrukturen an, gestützt auf maschinelles Lernen und Datenauswertung. Die Lösung wird eine ganze Reihe Funktionen bieten, wie Lademanagement und Echtzeitüberwachung, Einblick in den Fahrzeugzustand und die Planung von Wartungs- und Servicemaßnahmen. Auch die Routenplanung wollen wir unter Berücksichtigung von Tageszeit, Wetter und Nutzungsmustern optimieren.
Welche anderen Innovationen haben Sie zuletzt in Partnerschaften vorangetrieben?
Laudenklos: Im Bereich Elektro-Mobilität kooperieren wir mit unterschiedlichsten Beteiligten. Das gilt für die Hersteller von PKW oder LKW und Bussen. Es gehören dem Netzwerk aber beispielsweise auch kommunale Energieversorger oder Städte an, dazu Mineralölkonzerne und Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs, von Tankstellen, Einkaufzentren oder Bürokomplexen. Der Bedarf, über die Veränderung zu sprechen und gemeinsam zu neuen technischen Lösungen zu kommen, ist hoch. Eine besondere Partnerschaft haben wir mit 3M, mit denen wir das neue Isoliergas AirPlus entwickelt haben. AirPlus ist eine Alternative zu Schwefelhexafluorid, das für gasisolierte Schaltanlagen zum Einsatz kommt und ausgezeichnete technische Eigenschaften aufweist, aber als Treibhausgas in der Kritik steht. Unser neues innovatives Isoliergas hilft, den Einfluss des Stromnetzes auf das Klima weiter zu verringern.
Sie sind bei ABB Elektrifizierung für Nord- und Zentraleuropa zuständig und damit unter anderem für die DACH-Region, der wir uns bei der Themenreise 2021 besonders widmen. Wie sollten sich deutsche, österreichische und Schweizer Unternehmen im Wettbewerb um knappe Ressourcen, Marktzugänge, digitale Infrastrukturen und Datenmanagement positionieren?
Laudenklos: Es ist an uns, den Nachweis zu erbringen, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz mit Wertschöpfung, wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit verknüpft werden können. Die Voraussetzungen dafür in der DACH-Region sind gut. In innovativer Klimaschutztechnologie sind wir stark, wir nutzen die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung bereits und haben Unternehmer, die sich den Schuh der Nachhaltigkeit anziehen und vorangehen – das alles auf Basis einer verlässlichen Rechtsgrundlage. Ich bin davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit nicht das neue Premium ist, sondern ganz im Gegenteil zum Standard unseres Tuns erhoben werden muss.
Wie steht speziell Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Nord- und Zentraleuropas da?
Laudenklos: In Skandinavien läuft ökologisch vieles noch besser als bei uns. Norwegen ist weiter als wir bei den Themen Energiespeicher, Elektromobilität oder Wasserstoff, weil es in der Gesellschaft eine größere Bereitschaft gibt mitzuziehen. Ähnlich sieht es in den Niederlanden aus. Ende 2020 waren bei unserem Nachbarn 17 Prozent aller Autos elektrisch. Deutschland ist gut bei Innovation und Technik, aber viele Entscheidungsprozesse sind zu bürokratisch. Das stellt Hürden auf, gerade in Hinblick auf Smart Buildings. Von Smart Citys will ich gar nicht erst anfangen.
Wir bei Drees & Sommer sind der Ansicht, die öffentliche Hand müsste beim nachhaltigen Bauen stärker als bisher vorangehen. Was wünschen Sie sich von den Entscheidungsträgern?
Laudenklos: Mehr Konsequenz und mehr Transparenz. Ich habe vor der kommenden Bundestagswahl den Eindruck, es traut sich niemand aus der Politik zu sagen, was wirklich Sache ist. Niemand bekennt wirklich Farbe, es gibt keine klaren Zielsetzungen für die Energie- und die Klimawende. So kann das nicht funktionieren, so geht der Schuss nach hinten los.
Und welcher Nachhaltigkeitsaspekt kommt Ihrer Meinung nach bei Unternehmen noch zu kurz?
Laudenklos: Jedes Unternehmen muss selbst strategisch für sich beantworten, ob Nachhaltigkeit im Rahmen der eigenen Stärken und des Umfelds, in dem es tätig ist, Sinn ergibt. Wir bei ABB sind überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein wesentlicher Bestandteil des Unternehmenszwecks sein kann und den Unternehmenswert erhöht. Die Vereinten Nationen definieren unter dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ 17 Themenfelder mit Antworten für die Zukunft. Wir widmen uns den Zielen, die wir direkt oder indirekt beeinflussen können. Bei ABB Elektrifizierung betrifft das die Felder Industrie, Innovation und Infrastruktur, nachhaltige Städte und Gemeinden sowie nachhaltiger Verbrauch und nachhaltige Produktion. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, in diesen Feldern die Dekarbonisierung voranzutreiben, ressourcenschonend zu produzieren und die soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu fördern und weiterzuentwickeln.
Damit wären wir bei Ihrer „Mission to Zero“. Erzählen Sie uns von Ihrer Vision.
Laudenklos: Wenn wir einen Blick auf die weltweiten CO2-Emissionen werfen, gehen wir davon aus, dass rund 46 Prozent aller Emissionen durch die Erzeugung von Wärme und Strom entstehen, die in Transport, Industrie und Gebäuden verbraucht werden. Das sind die Branchen, in denen ABB historisch gewachsen stark vertreten ist. Deshalb weiten wir ständig unser Portfolio entsprechend der Bedarfe in diesen Feldern um eco-effiziente Lösungen aus. Seit Jahren schon stellt der Anteil eco-effizierter Produkte und Lösungen an unserem Gesamtportfolio etwa die Hälfte unseres Gesamtumsatzes. Wir sehen uns als Unternehmen in der Verantwortung, dieses Portfolio weiterzuentwickeln, damit unsere Kunden ihre Effizienz- und Reduktionziele für CO2-Emissionen umsetzen können. Die „Mission to Zero“, in der es um klimaneutrale autarke Lösungen für industrielle Standorte, Gebäude und städtische Quartiere geht, ist einer unserer technologischen Schwerpunkte.
Der Standort Lüdenscheid ist für ABB ein Aushängeschild für die „Mission to Zero“. Nun folgte in Mannheim der Spatenstich für den Neubau eines Standorts, der smart sein und kreatives Arbeiten in einem Multifunktionsgebäude ermöglichen soll. Werden sie dort neben der Smartness auch die Nachhaltigkeit großschreiben?
Laudenklos: Selbstverständlich. Das neue Gebäude wird ein Vorzeigeprojekt im Sinne eines Smart Buildings. Wir verbauen das komplette ABB-Portfolio an intelligenten Produkten und Systemen sowie an digitalen Technologien zur Gebäudeautomation und Energieverteilung. Die Lösungen leisten einen wesentlichen Beitrag zu Energieeffizienz, Klimaschutz, Ressourcenschonung und Komfort. Wir werden auch das deutsche ABB-Forschungszentrum von Ladenburg nach Mannheim verlagern und im Neubau ein Innovationszentrum für industrielle Digitalisierung und Künstliche Intelligenz aufbauen, das unsere Forschung, unsere Geschäftsbereiche, unsere Kunden und Partner sowie die Universitäten und Start-ups in der Region unmittelbar miteinander zusammenbringt. Auch das ABB Customer Experience Center, in dem ABB-Experten im engen Dialog und virtueller Kollaboration mit Kunden und komplementären Experten individuelle, digitale Lösungen erarbeiten, bekommt im Gebäude eine neue Heimat. Und zu guter Letzt unterstützt das Raumkonzept der Immobilie ein aktivitätsbasiertes Arbeiten. Das alles sind Beiträge zum Thema Nachhaltigkeit in einer größer gefassten Definition des Begriffs, die nicht nur den Klimaschutz berücksichtigt, sondern den erwähnten Dreiklang und die Ganzheitlichkeit von Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Das heißt, Sie sehen keinen Widerspruch oder eine Konkurrenz der Megatrends Digitalisierung und Wandel der Arbeitswelt auf der einen und Ökologie bzw. Nachhaltigkeit auf der anderen Seite?
Laudenklos: Nein. Die Digitalisierung kann helfen, die Energieeffizienz und Ressourcenschonung voranzutreiben. Die Mehrzahl an Rechenzentren, die wir aufgrund der steigenden Datenmengen künftig brauchen werden, lassen sich klimaneutraler betreiben als bisher – ich benutze absichtlich den Komparativ. Vielleicht wird durch sie anfangs mehr Energie verbraucht, aber an anderer Stelle bieten sie das Potenzial zur Energieeinsparung etwa durch die Nutzung der Abwärme. Irgendwann können wir sie dann auch klimaneutral betreiben. Die Digitalisierung ist das Fundament für Anwendungen in der Industrie und in Gebäuden, um Leistungsverluste zu reduzieren und den Verbrauch zu optimieren.
Was bedeutet der Green Deal der EU für ABB und die „Mission to Zero“?
Laudenklos: Der Green Deal bringt einen erheblichen Schub. Marktwirtschaftliche Instrumente und Anreize wie die Bepreisung des CO2-Ausstoßes wirken, der Handel mit Zertifikaten tut das zumindest übergangsweise auch. Verlässliche, innovationsfördernde Rahmenbedingungen sind absolut zentral für die Planungssicherheit bei Investitionen. Wir haben Instrumente vorliegen, um die Klimaschutzziele zu erreichen, oftmals entsteht die Wertschöpfung sogar hier in Europa. Wir können handeln, indem wir damit beginnen, existierende Technologien einzusetzen und Chancen zu nutzen, uns auf ein Lernen einzulassen. Diesen Mut werden wir benötigen.
ABB hat im März den Nachhaltigkeitsbericht 2020 veröffentlicht. Was sind Ihre größten Erfolge? Und wo müssen oder wollen Sie sich noch verbessern?
Laudenklos: Wir haben trotz der weltweiten Pandemie die meisten unserer Ziele übertroffen. Unsere eigenen Treibhausgasemissionen etwa wollten wir bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 2013 senken. Geschafft haben wir einen Rückgang um 58 Prozent – auch deshalb, weil wir bei der grünen Energie eine Steigerung von 27 Prozent allein zwischen 2019 und 2020 hatten. Wir konnten den Wasserverbrauch in Gebieten mit Wasserknappheit senken und Abfälle verringern und haben bei der Gender Diversity weiter Fortschritte gemacht. Dank unserer starken Fokussierung auf die Sicherheit konnten wir die Zahl schwerer Arbeitsunfälle weiter senken und wir konnten knapp 98 Prozent unserer Mitarbeitenden überzeugen, an Integritätstrainings teilzunehmen. Unsere Nachhaltigkeitsbilanz der vergangenen zehn Jahre ist sehr gut, nun legen wir die Messlatte noch etwas höher – unter anderem mit dem Ziel, bis 2030 die ABB-eigenen Standorte klimaneutral zu betreiben und mindestens 80 Prozent der ABB-Produkte und -Lösungen durch den Ansatz des Kreislaufwirtschaft abzudecken.
„Die Zukunft der sicheren, intelligenten und nachhaltigen Elektrifizierung schreiben“ – das ist Ihr Anspruch im Geschäftsbereich der Elektrifizierung. Wie sieht das in der Praxis aus?
Laudenklos: Das lässt sich beispielsweise an Projekten in Saragossa, Jena und Hamburg sehen. Saragossa im Norden Spaniens ist ein Vorreiter bei der Umsetzung einer Smart City, für die ABB das Energieüberwachungs- und -steuerungssystem über eine cloudbasierte Energiemanagementplattform in Verbindung mit intelligenten Schaltgeräten realisiert hat. In Jena hat das Gefahrenabwehrzentrum seinen Sitz in einer komplexen Immobilie mit vielen Anforderungen an die Gebäudeleittechnik. Wir haben eine energetische Komplettlösung geliefert. Und in Hamburg dürfen nach einem Beschluss des Senats seit 2020 ausschließlich vollelektrische Busse angeschafft werden. Auch hier kommt die Depot-Ladelösung komplett von uns.
Herr Laudenklos, über Ihre Botschaft an politische Entscheidungsträger haben wir schon gesprochen. Zum Abschluss dieses Gesprächs: Was wünschen Sie sich von der Bauwirtschaft?
Laudenklos: Dass sie mehr Smart Buildings baut. Und dass sie richtig viele Smart Citys entwickelt. Dass sie dabei immer an Smart Mobility, Smart Data und Smart Energy denkt. Kurzum: Dass auch sie ihren Beitrag leistet, den Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit zu realisieren.