Hanjo Hermann kam im Jahr 2015 nach seinem Masterstudium mit der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen zum Dürr-Konzern. Im vergangenen Jahr übernahm er die operative Verantwortung für die Abteilung Corporate Sustainability. In seiner neuen Position profitiert Hermann von einer soliden Vorarbeit: Schon früh fokussierte man sich im Dürr-Konzern auf die Entwicklung innovativer Technologien zur Verbesserung der Nachhaltigkeitswirkung in der Produktion – lange Zeit mit verhaltenem Anklang am Markt. „Jetzt ist die Zeit reif“, sagt Hanjo Hermann.
Seit fast zehn Jahren arbeitet Thomas Günther bei HOMAG und der rote Faden, der ihn während seiner unterschiedlichen Stationen begleitet, sind die Prozesse – sein Steckenpferd. Schon in seinem Studium der Wirtschaftsinformatik bildete die Organisationsentwicklung seinen Schwerpunkt. Seit 2021 widmet sich Thomas Günther bei HOMAG dem Bereich Process Excellence und Nachhaltigkeitsaspekten – mit „einem kritischen Blick“, wie er selbst sagt.
Herr Hermann, welche Themen haben im Rahmen der nachhaltigen Transformation bei Ihrem Unternehmensverbund die höchste Priorität?
Hermann: Wir strukturieren das Nachhaltigkeitsmanagement im Dürr-Konzern sowohl inhaltlich als auch organisatorisch neu. Dabei gehen wir das Thema umfassend an und beziehen alle drei Teilkonzerne – Dürr, Schenck und HOMAG – in unsere Aktivitäten ein. Dieses ganzheitliche Nachhaltigkeitsverständnis spiegelt auch unser aktuelles Nachhaltigkeitskonzept wider, das in fünf Handlungsfelder gegliedert ist: Produkte und Dienstleistungen, Wertschöpfung und Lieferkette, Mitarbeiter und Weiterbildung, nachhaltige Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung. Den wichtigsten Hebel stellt dabei aber sicherlich die Weiterentwicklung unserer Produkte und Lösungen dar, die in der Produktion unserer Kunden einen signifikanten Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft haben. Dies ist für uns Ansporn und Chance zugleich, denn unsere Kunden setzen immer stärker auf Technologien, die ihre Produktion nachhaltiger gestalten.
Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht bisher noch nicht so stark im Fokus steht?
Hermann: Das war in der Vergangenheit sicherlich die Betrachtung der internen Energieverbräuche sowie die Ableitung konkreter Reduktionsmaßnahmen an unseren weltweiten Standorten. Der bislang fehlende Fokus ist unter anderem dadurch zu begründen, dass der Dürr-Konzern eine relativ geringe Wertschöpfungstiefe hat und damit auch die eigenen Emissionen, wie im Anlagen- und Maschinenbau üblich, verhältnismäßig gering sind. Hier steuern wir aktuell nach und werden noch in diesem Jahr eine Klimastrategie im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen veröffentlichen. Aus meiner Sicht ist dies ein weiterer wichtiger Schritt, um auch in der Belegschaft das Bewusstsein für den unternehmenseigenen ökologischen Footprint zu schärfen und die Glaubwürdigkeit als verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Unternehmen zu untermauern. Neben der eigenen Wertschöpfung werden wir hierbei auch unsere Lieferkette verstärkt unter die Lupe nehmen.
Haben Sie ein konkretes Ziel, bis wann Sie Klimaneutralität erreicht haben wollen?
Hermann: Daran arbeiten wir gerade. Die Festlegung eines konzernweiten Emissionsreduktionspfades ist eine strategische Entscheidung, die gut durchdacht werden sollte. Natürlich ist es verhältnismäßig einfach, über den Kauf von Grünstrom und kompensierender Zertifikate eine zeitnahe bilanzielle Klimaneutralität herzustellen. Wir möchten hier allerdings einen anderen Weg gehen und zunächst prüfen, welche substanziellen Einsparungen wir in Zukunft eigenständig umsetzen können. Hier denke ich beispielsweise an nachhaltige Neubauten, Effizienzmaßnahmen in der Produktion oder die Eigenerzeugung erneuerbarer Energien mittels Photovoltaik oder anderer innovativer Ansätze. Anschließend ist eine konkrete Zielsetzung unter Berücksichtigung der prognostizierten Geschäfts- und Marktentwicklung möglich. Ein genaues Datum für die Klimaneutralität des Dürr-Konzerns kann ich somit noch nicht nennen – wir werden uns aber auf alle Fälle noch in diesem Jahr ein ambitioniertes Ziel setzen.
Sind Sie in Ihrer Branche eher First Mover oder Late Developer?
Hermann: Das ist pauschal schwer zu beantworten, da im Bereich der Klimaziele aktuell eine sehr hohe Dynamik herrscht und fast täglich neue Strategien ausgerufen werden. Im Maschinen- und Anlagenbau gehören wir in diesem Jahr aber sicherlich zu den Vorreitern – insbesondere dann, wenn wir auch Daten zu den Emissionen in unserer Lieferkette und der Nutzungsphase unserer Produkte liefern können. Stand heute ist das Thema allerdings noch sehr stark investoren- bzw. kapitalmarktgetrieben und wird vermutlich erst nach und nach auf den Mittelstand und kleinere Unternehmen übergehen.
Verfolgen Sie im Unternehmensverbund von Dürr und Homag identische Ziele oder gibt es Unterschiede, weil sich die Stakeholder ja auch unterscheiden?
Hermann: Wir machen hier zunächst keine Unterschiede zwischen unseren Teilkonzernen und treiben unsere Aktivitäten konzernweit voran – auch um Synergien zu nutzen. Dies gilt vor allem für die internen Energie- und Ressourcenverbräuche, also Scope 1 und 2 sowie Teile von Scope 3, zum Beispiel Geschäftsreisen oder die Fahrzeugflotte. Beim restlichen Scope 3 müssen wir jedoch etwas differenzieren. So haben Lackieranlagen von Dürr mit einem jährlichen Energieverbrauch von gut und gerne 150 Millionen KWh pro Jahr natürlich einen anderen ökologischen Einfluss als eine Hobelmaschine für den familiengeführten Handwerksbetrieb aus dem Schwarzwald. Hier fokussieren wir uns zunächst auf die Geschäftsbereiche, bei denen wir den größten Impact sehen.
Was sind die größten Herausforderungen beim Aufstellen der Klimaagenda?
Hermann: Das ist im Dürr-Konzern ganz klar die Bereitstellung nachvollziehbarer und reproduzierbarer Daten für die Scope 3-Berechnung. So umfasst unsere Lieferantenbasis etwa 30.000 Lieferanten. Hier einen Überblick über die eingekauften Güter und Materialien zu gewinnen, ist eine riesige Herausforderung. Auch die Berechnung der verursachten Emissionen unserer verkauften Maschinen und Anlagen in der Nutzungsphase beim Kunden ist nicht einfach – und das obwohl unsere R&D-Abteilungen sich schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Hier gilt es oftmals, sinnvolle Annahmen zu treffen, wenn die Daten noch nicht in ausreichender Qualität vorliegen.
Herr Günther, Business as Usual ist out, sicher auch bei Ihren Prozessen. Was ist bei HOMAG derzeit alles auf dem Prüfstand, welche Veränderungen stehen Ihnen bevor?
Günther: Die Transformation bei HOMAG steht noch am Anfang. Uns muss aber klar sein, dass all unsere Prozesse eine dritte Dimension zu den bisherigen – der Zeit und dem monetären Blickwinkel – hinzugewinnen: den Umwelt- oder Klimaschutz als zentralen Aspekt der Nachhaltigkeit. Das wird unser Handeln künftig immens beeinflussen. Damit müssen wir lernen umzugehen, um zu vermeiden, dass wir überholt werden. Im Vergleich zu den Teilkonzernen Dürr und Schenck, die unter anderem als Zulieferer der Automobilindustrie agieren, verspüren wir bei HOMAG noch nicht den großen kundenseitigen Druck beim Thema Nachhaltigkeit. Zwar haben einige Großkunden bereits Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt, aber die vielen kleineren Betriebe, die unseren Auftragseingang maßgeblich prägen, sind hier noch nicht aktiv. In den Kaufentscheidungen der Kunden spielt das Thema durchgängig noch eine untergeordnete Rolle.
Hermann: Da stimme ich zu. Wir sehen aktuell insbesondere im Automotive-Bereich einen massiven Wandel und den Beginn einer Transformation zu mehr Nachhaltigkeit in der Produktion. Emissionsminderung und Ressourcenschonung werden zunehmend zu wichtigen Kaufkriterien – und das wiederum geht Hand in Hand mit einem weiteren Megatrend, der Digitalisierung. Auch hier haben wir uns frühzeitig positioniert und Kompetenzzentren für Digitalisierung gegründet, unsere Digital Factories. Allein im Teilkonzern Dürr sind über 100 Softwarespezialisten damit beschäftigt, digitale Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Hier sehen wir eine große Chance für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit in der Produktion unserer Kunden. Aktuell arbeiten wir beispielsweise an der Entwicklung eines Energiemanagement-Tools für Lackieranlagen, das ein Energiemonitoring in Echtzeit gewährleistet. Ein zusätzliches Modul sorgt für die intelligente Optimierung der Verbräuche.
Wie wird sich die Art der Zusammenarbeit in Ihrem Unternehmen in nächster Zeit entwickeln?
Hermann: Corona hat uns gezeigt, dass eine stärkere digitale Zusammenarbeit im Unternehmen möglich ist. Als global agierendes Unternehmen sind wir virtuelle Abstimmungen bereits seit vielen Jahren gewohnt. Die Corona-Krise hat uns bei der internen Digitalisierung aber noch einmal auf ein neues Level gebracht. Für die Zeit nach Corona wird es aber wichtig sein, die richtige Mischung aus mobilem Arbeiten und persönlichem Aufeinandertreffen zu finden. Der persönliche Austausch und die Bindung zum Unternehmen haben in der Vergangenheit die offene und hilfsbereite Kultur des Dürr-Konzerns geprägt – das wird man nicht komplett digitalisieren können. Dennoch wird sich die Arbeitswelt weiter verändern. So werden wir den Umbau hin zu Wechselarbeitsplätzen und einer modernen Bürolandschaft – auch zum Entspannen – fortführen.
Günther: Nicht zuletzt durch die Pandemie hat sich unsere Arbeitswelt in den Bürobereichen stark verändert. Homeoffice ist in aller Munde. Der Beweis, dass es funktioniert, ist erbracht. Nun gilt es, dies sinnig in die Post-Pandemiezeit zu überführen. In den Planungen neuer Bürogebäude bei HOMAG wird mit den Kolleginnen und Kollegen die neue Arbeitswelt diskutiert und gestaltet. Ich sehe darin eine Chance, den Standortnachteil ein wenig auszugleichen, den wir in Schopfloch aufgrund unserer Randlage haben.
Sie sprechen von Standortnachteilen. Was sind Ihre Wünsche und Erwartungen an das Land Baden-Württemberg? Muss die Politik ländlichere Regionen stärker unterstützen?
Günther: Wir leben und arbeiten im schönsten Bundesland Deutschlands, da können wir uns nicht beklagen (lacht). Wir haben einen sehr gut ausgebildeten Nachwuchs, aber im ländlich geprägten Nordschwarzwald ein Nachteil zu den Metropolen. Da braucht es Ideen und Ansätze, um ländlich strukturierte Regionen für Arbeitnehmer attraktiver zu machen. Das beginnt beim ÖPNV und endet bei der Stadtentwicklung von Kreisstädten wie Freudenstadt oder den Kommunen. Ich sehe jedoch, dass die Nachfrage nach Wohnraum auch hier im Landkreis zunimmt. Es zieht wieder Menschen aufs Land, sollte sich dieser Trend verstärken, würde uns das sehr helfen.
Hermann: Die Industrie im Hinterland wird durch infrastrukturelle Probleme tatsächlich häufig ausgebremst. Da haben wir an unserem Konzernhauptsitz in Bietigheim-Bissingen, in der Nähe von Stuttgart, in der Tat andere Voraussetzungen. Dennoch ist unsere Präsenz in Baden-Württemberg ein großer Vorteil: Im nahen Umfeld haben wir viele Hidden Champions unter den Zulieferern und dank der guten Hochschullandschaft sehr viele gut ausgebildete Arbeitskräfte. Gleichzeitig gilt aber auch: Baden-Württemberg ist zwar das Heimatland vieler Kolleginnen und Kollegen im Dürr-Konzern, aber mehr als die Hälfte der Angestellten arbeitet nicht hier. Als international aufgestelltes Unternehmen müssen wir also stets global denken.
Wie überzeugt man als Dürr oder HOMAG junge Menschen von sich?
Hermann: Junge Arbeitskräfte schauen sich heutzutage sehr genau an, wie die Unternehmen zur Nachhaltigkeit stehen. Darunter hat die Automobilbranche zuletzt stark gelitten. Der Dürr-Konzern ist inzwischen der Definition nach mit rund 17.000 Mitarbeitern ein Großunternehmen, aber im Herzen sind wir mittelständisch und dynamisch geblieben. Das zeigt sich in der Nähe unserer Vorstände zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und in der Dynamik, mit der wir neue Themen, wie zum Beispiel Digitalisierung und Nachhaltigkeit, angehen. Das überzeugt junge Menschen und Absolventen und spiegelt sich auch in verschiedenen Ratings wider.
Haben Sie bereits ein E-Mobilitätskonzept mit unternehmensweiten Infrastrukturüberlegungen?
Hermann: Bislang läuft unser Mobilitätskonzept noch dezentral. An unserer Konzernzentrale in Bietigheim-Bissingen haben wir inzwischen 15 Ladestationen für Elektroautos installiert. Mehr kriegen wir aktuell noch nicht angeschlossen, arbeiten aber bereits an einer Lösung. Im Rahmen unserer Klimastrategie analysieren wir zudem unsere weltweite Fahrzeugflotte und werden auch unsere Fahrzeug-Policy überarbeiten. Da passt es, dass unser stellvertretender Vorstandsvorsitzender, – ein großer Liebhaber klassischer Sportwagen – inzwischen mit dem Elektroauto zur Arbeit kommt. Das ist ein wichtiges Zeichen an die Belegschaft!