Balz Märki ist Maschinenbau-Ingenieur mit einem BWL-Nachdiplomstudium in Unternehmensführung sowie in Leadership & Management. Startete seine berufliche Laufbahn als Entwicklungsingenieur für piezoelektrische Sensoren mit Auslandserfahrung in den USA. War Geschäftsführer und Geschäftsentwickler der Mess-, Prozess- und Energietechnik mit Regionalverantwortung für Zentral- und Osteuropa, bevor er 2006 als CEO zu Phoenix Contact AG Schweiz kam. Zeigt als Geschäftsführer Haltung für ein nachhaltiges Geschäft. Die drei Dimensionen Wirtschaft/Gesellschaft/Umwelt sieht er als Schlüssel für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung.
Bernhard Tillmanns gründete ein Jahr nach seiner Ausbildung zum Elektrotechniker ein eigenes Unternehmen zur Entwicklung von Software-Plattformen, Energiemanagementsystemen für Gebäude und Security Solutions. Sagt von sich selbst: „Das Leben war meine Uni.“ Seit Juni 2015 Director Global Industry Management Building Technology bei Phoenix Contact. Hat es sich selbst zur Aufgabe gesetzt, Phoenix Contact als Treiber der Digitalisierung der Gebäudewirtschaft zu etablieren.
Drees & Sommer (D&S): Herr Tillmanns, Herr Märki, für die Themenreise 2023 stellen wir uns die Frage, wie wir anders erfolgreich wachsen können. Sind die turbulenten Zeiten dabei ein Hindernis?
Bernhard Tillmanns: Nein, im Gegenteil. Turbulente Zeiten brauchen Orientierung durch die Ausrichtung auf langfristige Ziele. Ich bin ja Wassersportler und weiß daher, dass man den Wind nicht ändern kann, man kann nur die Segel anders stellen. Genau das muss man tun, wenn ein Sturm im Anzug ist.
Balz Märki: Das sehe ich genauso. Wir müssen die dringendsten Themen unserer Welt jetzt angehen. Und auch wenn es eine Binsenweisheit ist: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. In der Schweiz haben wir 2015 den sogenannten Frankenschock erlebt, als die Schweizer Notenbank den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken aufhob. Das hat praktisch alle Schweizer Betriebe heftig unter Druck gesetzt. Damals war klar: Kleine strategische Kurskorrekturen und minimale Retuschen im Prozessdesign reichen nicht aus, um wieder auf die Erfolgsstraße zurückzukehren. Das Aufbrechen alter Gewohnheiten und jahrelang eingespielter Abläufe war für viele schmerzhaft, aber es hat sich gelohnt. Alles in allem steht die Schweizer Wirtschaft heute robust da.
Bernhard Tillmanns: Es braucht als Antrieb einen sinnstiftenden Zweck, der dafür sorgt, dass ein Unternehmen auch in turbulenten Zeiten sein Ziel nicht aus den Augen verliert. Der Zweck, Geld zu verdienen, führt einen noch nicht auf den Weg der Transformation. Das Purpose Statement von Phoenix Contact ist Maßstab für unser Denken und Handeln. Es lautet: „Mit Leidenschaft für Technologie und Innovation schaffen wir eine gemeinsame, nachhaltige Welt.“ Damit bringen wir nachhaltiges und wirtschaftliches Handeln in Einklang.
D&S: Stehen unsere Wirtschaftsstruktur und Gesellschaftsform mit ihrer Fixierung auf kurzfristige Erfolge nicht im Konflikt zu langfristigen Nachhaltigkeitsstrategien?
Balz Märki: Mein persönlicher Leitsatz ist: Ich denke langfristig und schaffe Werte für die Zukunft. Die Menschen müssen verstehen, dass wir auch kurzfristige Entscheidungen immer im Kontext langfristiger Konsequenzen betrachten müssen, wenn wir den Schutz unserer Umwelt und den globalen Wohlstand dauerhaft miteinander vereinbaren wollen.
Bernhard Tillmanns: Dabei hilft die erwähnte Orientierung, ein klar formuliertes und die Gemein-schaft verbindendes Zielbild.
D&S: Phoenix Contact sieht sein Zukunftsbild der „All Electric Society“, kurz AES, als gesellschaftlichen Transformationsauftrag. Wie kommunizieren Sie diesen Auftrag nach außen?
Balz Märki: Unser gesamtes Unternehmen ist auf die Vision der AES ausgerichtet. Wir leben sie vor und streuen das über alle Kanäle, alle Vernetzungen. Zum Beispiel, indem wir mit Hochschulen und Thinktanks zusammenarbeiten, Ideenwettbewerbe ausschreiben und auf andere Firmen zugehen. In der Schweiz beteiligen wir uns an der Initiative Industrie 2025, einer Wissenstransfer- und Netzwerkplattform zum Thema Industrie 4.0, und zeigen dort, wie sich Prozesse vereinfachen und Kapazitäten besser auslasten lassen. Wir wollen dabei keine Shows ausführen, sondern wirklich zukunftsweisende Produkte und Lösungen präsentieren.
Bernhard Tillmanns: Der Plattformgedanke ist für uns extrem wichtig. Wir gehen zwar voraus, indem wir als 100 Jahre altes Unternehmen unsere Sinnstiftung mit der AES jetzt gesellschaftspolitisch begründen, aber wir gehen nicht allein, sondern wie bei der Themenreise gemeinsam mit Kunden und Partnern, die ihre eigenen initialen Bewegungen bündeln wollen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen.
D&S: Wie überzeugt Phoenix Contact seine Belegschaft, dabei mitzuziehen?
Bernhard Tillmanns: Indem wir ihr aufzeigen, dass alle aktiv mitgestalten können, in einem komplett durchgängigen Prozess, der in beide Richtungen funktioniert. Von unten nach oben und von oben nach unten – mit dem Ziel, die besten Ideen zu finden und zu fördern.
Balz Märki: Der grundsätzlich erste Schritt zur Transformation ist Offenheit. Du musst Tendenzen annehmen und Gedanken zulassen, um auch bei deinen Mitarbeitenden Offenheit zu erreichen
D&S: Auch in der Bau- und Immobilienwirtschaft müsste es viel mehr Offenheit, viel mehr „Business as unusual“ geben.
Bernhard Tillmanns: Das sehen wir genauso. Wer heute mit alten Mindsets Gebäude erstellt, belastet die Landschaft 40 Jahre lang. Der Gebäudesektor muss sich von fossilen Energieträgern freimachen, damit Gebäude die Energie, die sie für ihren Betrieb benötigen, selbst erzeugen und für Dunkeltage speichern können. Nur das ist nachhaltig, nur das führt zu einer Steigerung der Resilienz. Phoenix Contact steht ja für Gebäudeautomation, deren Rolle es ist, eine durchgehende Kopplung der Sektoren Elektrizität, Wärme, Kälte und weitere zu schaffen, wovon durch den Local-Grid-Gedanken auch das Umfeld des Gebäudes profitieren und beispielsweise die Mobilitätswende unterstützt werden kann. Die Grenzen zwischen Gebäudeautomation und Smart-City-Entwicklung sind fließend. Dazu braucht es aber von vornherein das richtige Energiekonzept. Aus unserer Sicht sollte es sich etablieren, dass man analog zur Architektur auch für das beste technische Konzept einen Wettbewerb ausschreibt.
Balz Märki: Eigentlich sollte die Tatsache, dass die Bau- und Immobilienbranche als Energiebezieher und Verursacher von CO2-Emissionen einen großen Anteil an der Klimakrise hat, schon Ansporn genug sein, die heute zur Verfügung stehenden Technologien konsequent einzusetzen.
Bernhard Tillmanns: Zumal sich mit Gebäuden, die klimaneutral oder sogar klimapositiv sind, eine ganz neue Assetklasse schaffen lässt.
D&S: Prallen da die Ansichten von Vertretern eines Familienunternehmens, das seine Immobilien an die nächste Generation übergibt, mit dem kurzfristigen Interesse von Investoren aufeinander?
Bernhard Tillmanns: Definitiv. Phoenix Contact würde niemals ein Gebäude bauen, um es nach 20 Jahren wieder zurückzubauen.
Balz Märki: Wie schon erwähnt: Entscheidend ist das Mindset. Wir haben es in der Schweiz mit sehr vielen KMU zu tun und beobachten, dass sie sehr flexibel und agil agieren. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Schweiz nun schon zwölf Jahre in Folge den Global Innovation Index anführt.
Bernhard Tillmanns: Man muss aber auch sagen, dass es durchaus Investoren gibt, die ein Interesse an einer nachhaltigen Betriebsphase ihrer Gebäude und an einer Vernetzung mit dem Umfeld haben, beispielsweise Unibail-Rodamco-West-field, mit denen wir gerade das Überseequartier in Hamburg realisieren.
D&S: Wir sprechen da allerdings momentan noch von Leuchtturmprojekten.
Bernhard Tillmanns: Richtig. Ich weiß von Projekten unter anderem im Ruhrgebiet, die wohnungs-wirtschaftliche Quartiere über ein Kaltwärmenetz verbinden. Wir selbst entwickeln zurzeit ein Leistungszentrum für Arminia Bielefeld, in dem die Abwärme eines Industrieunternehmens aus der Nachbarschaft in das Energieversorgungskonzept integriert ist. Doch eine Bewegung in die Breite zugunsten der Infrastrukturen unserer Städte gibt es noch nicht.
D&S: Wie sieht das in der Schweiz aus, Herr Märki?
Balz Märki: Der Schweizer Energie-Mix war schon immer und ist jetzt erst recht ausgerichtet auf Sicherheit und Reserven, um sich für größere, unerwartete Engpässe auf dem Strommarkt zu wappnen. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern ist das mit dem Schweizer Strommix möglich, weil die Speicherkraft mit 27,5 Prozent einen großen Anteil an der gesamten Stromproduktion ausmacht. Zusammen mit den Laufwasserkraftwerken werden rund 50 Prozent der benötigten elektrischen Energie generiert. Das allein ist dem Erfindergeist und dem Willen zur Umsetzung von Ingenieuren, Fachleuten und im Zusammenspiel der Behörden und Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken.
D&S: Welche Trend-Technologien im Bereich KI, Big Data, IoT etc. helfen uns auf dem Weg in die „All Electric Society“?
Bernhard Tillmanns: Die Bau- und Immobilienbranche beschwert sich oft, dass die Gebäude-automation und ihr Betrieb immer komplexer werden. Das ist zwar richtig, doch zur Beherrschung der Komplexität braucht es nicht mehr Technik, sondern nur die richtige Lösung für ein gewerke-übergreifend vernetztes Gebäude: Ein Operation System wie unser Building IoT Framework Emalytics, das IoT, KI und Big Data kombiniert. Unser Zielbild für die laufende Dekade ist es, ein sich selbst optimierendes Gebäude zu entwickeln. Um das zu erreichen, müssen wir Daten sammeln und analysieren. Die Debatten um den Datenschutz, die häufig zum Hemmnis werden, sind nicht differenziert. Es geht nicht um personenbezogene Daten, sondern um Daten zum Bewerten von Prozessen. Selbst dort, wo wir Nutzungsprofile generieren, können wir das natürlich anonymisiert machen.
D&S: Phoenix Contact feiert 2023 sein 100-jähriges Bestehen. Was wünschen Sie sich für das Jahr?
Bernhard Tillmanns: Wir werden im Juni unseren AES-Park feierlich eröffnen, wo die Themenreise im September nächsten Jahres auch ihren haltmachen wird. Ich wünsche mir, dass die dortigen Use Cases zur Umsetzung der Sektorenkopplung und zum Aufbruch in eine nachhaltige Welt überzeugen und andere motivieren. Um auf den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen: Wer in die richtige Richtung segeln möchte, braucht einen Kompass. Einen solchen wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern und Kunden der Industrie geben.