Future Insights 01.12.2021

Fokus und Überzeugungsarbeit

Die Unternehmerrunde „Future Insights“ übt sich bei Drees & Sommer im vernetzten Denken – und sieht in der Kooperation auch mit ungewöhnlichen Partnern einen Schlüssel für künftigen Erfolg

Die einen schüttelten den Kopf, die anderen nickten eifrig. Es war – das darf man nicht missverstehen – keineswegs Ausdruck einer Uneinigkeit, den die Gäste der „Future Insights“ Anfang Dezember in Stuttgart zeigten, sondern Ausdruck einer Involviertheit, Ausdruck des Staunens und letztlich Ausdruck des Zustimmens. „Was ist, was bleibt, was kommt?“ lauteten die Fragen des Tages, anders formuliert: Was müssen Unternehmen heute tun, damit sie morgen (noch) erfolgreich sind? Und weil „Zukunft im Dialog entsteht“, wie der Gastgeber Götz Schönfeld, Leiter Business Transformation & Network Management bei Drees & Sommer, klarstellte, kamen die Anwesenden ins Gespräch.

Das geschah in der hochkarätig besetzten Runde auf Basis dreier lebendig diskutierter Kurzimpulse aus berufenem Munde: Rainer Hundsdörfer, der CEO von Heidelberger Druckmaschinen, Frank Stührenberg, der CEO von Phoenix Contact, und Jost Backhaus, der COO von ENERCON, berichteten von Transformationsprozessen aus ihren Branchen und Unternehmen. Die Ausgangslagen waren unterschiedlich. Doch am Ende stand eine gemeinsame Erkenntnis: Der Wandel ist unausweichlich. Entweder man gestaltet ihn selbst, oder man wird von ihm weggewischt.

„Heidelberger ist innerhalb unserer Industrie mit am größten im Wandel – nicht, weil wir es wollen, sondern weil wir es müssen.“ Mit diesem Satz eröffnete Rainer Hundsdörfer seinen Vortrag „Vom Druckmaschinenhersteller zum Technologieunternehmen“. Das Problem des mit sensationellen 45 Prozent Weltmarktanteil global größten Herstellers lautet: Es wird zwar nicht weniger gedruckt als früher, aber mit immer weniger und langlebigeren Maschinen. Nach einem Auftragsrückgang um 70 Prozent saßen dem 170 Jahre alten Unternehmen 2019 die Leerverkäufer im Nacken.

Die Pleite blieb aus, weil Heidelberger auf Digitalisierung und Automatisierung baute. Einmal in Fahrt, brachte Hundsdörfer mit seinem Best-Practice-Feuerwerk die Köpfe der Zuhörenden zum Brummen. Mit eigener Elektronik- und Softwarekompetenz machte sich das Unternehmen nicht nur durch eine komplett selbstentwickelte und produzierte Steuerungsstrecke unabhängig von anderen, sondern brach in neue Wachstumsmärkte auf, mit eigenen Wallboxen oder Plug-and-Play-Lösungen fürs Energiemanagement im Smart Home. Heidelberger arbeitet an gedruckter Elektronik und an offenen digitalen Plattformen für die gesamte Druckindustrie. „Geschwindigkeit in der Entwicklung kriege ich dort, wo ich mit anderen kollaboriere – auch mit Mitbewerbern“, sagte Hundsdörfer.

„Speziell in Deutschland sehen wir Innovation oft nur als R&D. Innnovation ist viel mehr. Innovation sind Business Models und Partnerschaften. Wir müssen viel weiter denken, wenn wir tatsächlich innovativ sein wollen und müssen.“

Christopher Dühnen Head of Business Unit Building Technology bei Georg Fischer
Impulsgeber Rainer Hundsdörfer, CEO, Heidelberger Druckmaschinen

Die profitablen Teile des Kerngeschäfts, die das Neue bezahlen müssen, hat Heidelberger nicht aufgegeben und doch sein Portfolio konsequent bereinigt. Das war mit vielen Diskussion verbunden, wie Hundsdörfer berichtete: „Transformation ist mühsam. Die machen sie nicht einmal, das ist on-going“ – gegen viele Widerstände und Skepsis.
 

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„Wir brauchen Menschen, die anders denken, viel unternehmerischer, viel mutiger. Und wir brauchen sie schnell. Da können sie nicht lange rummachen. Das ist eine Führungsaufgabe. Sie müssen den Leuten die Frage stellen: Wollt ihr Teil der Lösung sein oder Teil des Problems? Und es ist gar nicht so schwierig, diese Menschen zu bekommen. Es melden sich initiativ Leute bei uns, die sich für Nachhaltigkeit und ESG-Themen interessieren. Die wollen nicht nur einen Job, die wollen etwas bewegen.“

 


Rainer Hundsdörfer
CEO, Heidelberger Druckmaschinen

Das konnte Frank Stührenberg nachempfinden und nahm den Ball für Phoenix Contact auf. Das vollständig cashflow-finanzierte Familienunternehmen ist erfolgsverwöhnt – ein Global Player mit drei Milliarden Euro Umsatz und 100.000 Artikeln, Tendenz steigend. „Unser Portfolio-Bereich ist so breit, dass es uns zehn Jahre lang automatisches Wachstum garantieren würde“, verkündete Stührenberg.

Das führe in „eine gefährliche Falle“. Warum überhaupt ständig über Strategieentwicklung sprechen? Diese Frage stehe bei Phoenix Contact im Raum. Und doch hält die Führungsriege daran fest, sich Dekadenstrategien zu verordnen. Die aktuelle heißt „Empowering the All Electric Society“ und geht davon aus, dass in den kommenden Jahren die Tür in eine vollständig elektrische Welt aufgestoßen wird. „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit steht eine völlig CO2-neutrale Energieform zur Verfügung, die quasi zu Grenzkosten null herstellbar ist. Das Perpetuum Mobile, nach dem wir so lange gesucht haben, nimmt langsam Gestalt an.“ 2050 könnte der Prozess beendet sein – und die Automatisierungsexperten von Phoenix Contact wollen den Lauf der Dinge mit vorantreiben. Ihre Ausgangsthese lautet: Alles was elektrisch werden kann, wird elektrisch werden und vernetzter Teil des Internets of Things sein. Dadurch entstehen komplexe Systeme, die nur mit einer intelligenten Automatisierungslösung funktionieren können.

„Es ist wichtig, eine intrinsische Motivation unter den Mitarbeitern zu fördern. Eine Vision und eine Mission zu haben und mit der nach außen zu gehen, zu zeigen, dass wir eine Verantwortung spüren. Das zu tun, hat bei uns superviel bewirkt.“

Michèle Gertner Executive Assistant to the Management Board
Impulsgeber Frank Stührenberg, CEO, Phoenix Contact

Einer Lösung aus dem Hause Phoenix Contact? Vielleicht! Ganz sicher ist sich Stührenberg in einem Punkt: Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssten Unternehmen konsequent den Fokus auf die Geschäftsfelder legen, in denen der größte Impact möglich ist. 

 

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Diese Ausführungen waren eine Steilvorlage für Jost Backhaus. An der Konzentration auf Kernkompetenzen führt auch bei Enercon kein Weg vorbei. Die Erfolgskurve des 1984 gegründeten Windenergieexperten aus Aurich zeigte nur nach oben. 31.000 Energieanlagen hat Enercon weltweit gebaut, Gesamtleistung: 56 Gigawatt. Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Service – das Unternehmen kümmert sich um alles, stellte bis vor kurzem außerdem jede Platine selbst her. „Das hat uns mit zu Fall gebracht, als 2018 der deutsche Markt einbrach“, sagte Backhaus. „Strategie ist auch zu sagen: Was machen wir nicht“ – ein Satz, den mit ähnlichen Worten zuvor auch schon Hundsdörfer und Stührenberg ausgesprochen hatten.

Der Enercon-COO hielt wie seine Vorredner ein Plädoyer für kluge Kooperationen. Hürden und Hemmnisse nannte er viele – hierzulande komplizierte Ausschreibungssysteme, Bürokratiemonster, klagefreudige Anwohner, Kostendruck im Strudel sinkender Stromentstehungskosten, erhebliche Aufpreise durch grünen Stahl. Doch trotz all dem sprühte Backhaus vor Aufbruchsfreude. Denn den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Sie sind längst günstiger als die fossilen und um die deutschen Klimaziele zu erreichen, ist eine Leistungsverdopplung bei der On Shore-Windenergie bis 2030 nötig. „Die Bausteine für die Energiewende sind alle da, wir müssen sie nur sortieren. Dann haben wir die Chance, in Deutschland das zweite Wirtschaftswunder zu heben.“

Präsentation
Impulsgeber Joost Backhaus, COO, Enercon

Überhaupt: die Chancen. Backhaus nahm das Wort mehrfach in den Mund. Er legte dar, wie eine Kooperation mit der Windenergie die Wertschöpfung für Kommunen steigern könne. Und er sprach über die Industrieversorgung durch Windenergie, die auf dem Weg zur Dekarbonisierung helfe.



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Sein Publikum lauschte aufmerksam – und diskutierte mit, wie schon den ganzen Vormittag. Der gewünschte Dialog kam an mehreren Stellen in Schwung. Christopher Dühnen von GF Piping Systems tauschte sich mit Rainer Hundsdörfer über Pioniergeist in der eigenen Belegschaft aus, der GF-Marketingleiter René Habers stellte sich und anderen die Frage, wie man die Erfolgsgeschichten wie die von Heidelberger noch bekannter machen und so andere inspirieren könne. Dr. Ulrich Klotz von Züblin unterstrich, dass die von Frank Stührenberg prophezeite „All Electric Society“ auch die Bau- und Immobilienbranche beschäftige. Und Jörg Nolte von Phoenix Contact sprang Jost Backhaus zur Seite: Smartifizierung und Digitalisierung seien der Schlüssel zur Realisierung der Sektorenkopplung, die Backhaus zuvor als „Win-Win(d)-Lösung“ bezeichnet hatte.

Dass die deutsche Politik dafür bisher noch nicht gegebene regulatorische Rahmenbedingungen schaffen muss, vergaß die Unternehmerrunde nicht zu betonen. Der Druck in Richtung einer positiven Veränderung müsse aber aus der Industrie selbst kommen, warf Philipp Späth ein, Partner bei Drees & Sommer und unter anderem verantwortlich für den Ausbau von Kooperationsmodellen. Wie man mit gutem Beispiel vorangeht, zeigt sich an Drees & Sommers neuem Bürogebäude OWP 12, das im Anschluss an die „Future Insights“ eröffnet wurde. An der Entstehung des Energieplushauses hatte unter anderem Phoenix Contact seine Hände und seine Innovationskraft mit im Spiel.

Weitere Zitate

Christopher Dühnen Head of Business Unit Building Technology bei Georg Fischer

„Bei Georg Fischer nennen wir Fehlerkultur nicht Fehlerkultur, sondern Lernkultur, um den Menschen, die lernen wollen und sich dabei aus dem Fenster lehnen, eine psychologische Sicherheit zu geben.“

Philipp Vohrer Global Head of Corporate Affairs bei ENERCON

„Der Handwerker, der am Ende unsere Innovationen umsetzen muss, ist ein Bottleneck. Das ist die Sollbruchstelle für unsere Visionen – und eventuell ein Showstopper.“

Baldassare La Gaetana CEO at Aqseptence Group

„Wir selbst sind von unserer Innovationskraft nicht die treibenden Kräfte zur Lösung der Nachhaltigkeitsprobleme. Aber wir sehen uns als Möglichmacher im Hintergrund.“

Frank Stührenberg CEO, Phoenix Contact

„Was wir tun, findet oft in einer Schnittstelle zwischen IT und OT statt. Wir verstehen eine Fabrik, wir verstehen eine Infrastruktur, aber wir verstehen auch zunehmend digitale Prozesse. Das ist eine wertvolle Fähigkeitenstruktur. Die gibt es in Deutschland und Europa in einer Qualität, wie ich sie sonst in der Welt nicht so häufig sehe. Wenn wir das kultivieren, werden wir daraus ein langjährig erfolgreiches Erfolgsmodell machen.“

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