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Wer ist dran?

© Besjunior – gettyimages.com

Das Bewerbungsgespräch – eine der gefürchtetsten Hürden auf dem Weg zum Traumjob. Doch was wäre, wenn man diese leidige Aufgabe in Zukunft ganz bequem vom heimischen Sofa aus erledigen könnte? Und dabei nicht einmal mit einem Menschen sprechen müsste. 

„Spitze!“ ist mein erster Gedanke, als ich vor kurzem einen Artikel lese, in dem von Vorstellungsgesprächen mit dem Computer die Rede ist. Keine schlaflosen Nächte mehr, in denen man alle möglichen Gesprächssituationen wieder und wieder im Kopf durchgeht. Keine Anreise, bei der man sicherheitshalber viel zu früh da ist und dann eine halbe Stunde auf dem Parkplatz herumlungert. Kein ständiges Hand-an-der-Hose-Abreiben, um den ersten Eindruck ja nicht mit einem schwitzigen Händedruck zu vermasseln. Und vor allem kein Interview, bei dem einem Personaler und potenzielle Chefs gegenübersitzen und man so angespannt ist, dass man sich kaum darauf konzentrieren kann, sich gut zu verkaufen. 

Doch so einfach ist es natürlich nicht. Die im Artikel erwähnte Software kann (noch) kein komplettes Bewerbungsverfahren ersetzen. In einem fünfzehnminütigen Telefongespräch stellt der Computer dem Bewerber relativ simple Fragen zu dessen Hobbys, besonderen Erlebnissen oder einem typischen Sonntag. Der Inhalt der Antworten spielt dabei keine Rolle. Wie der Bewerber spricht, dafür umso mehr. Die Analyse-Software bewertet Faktoren wie Sprachrhythmus, -lautstärke und -geschwindigkeit, Wortwahl oder Satzbau. Daraus erstellt sie ein umfassendes Persönlichkeitsprofil – und entscheidet selbstständig, ob der Bewerber in die nächste Auswahlrunde kommt. 

Doch selbst wenn die Analyse-Software so zuverlässig und objektiv arbeitet, wie es der Hersteller verspricht – möchten Bewerber bei einem Unternehmen arbeiten, das schon im Auswahlverfahren das Zwischenmenschliche auf ein Minimum reduziert? Ich stehe dem eher kritisch gegenüber und frage meinen Kollegen Ralph Wanke, der bei Drees & Sommer für die Mitarbeitergewinnung zuständig ist, nach seiner Einschätzung. 

Er kann sich den Einsatz eines solchen Programms nur mit starken Einschränkungen vorstellen. „Natürlich sucht jeder Personaler immer nach Möglichkeiten, Bewerber objektiv vergleichbarer zu machen, gerade im Hinblick auf Gleichbehandlung“, sagt Wanke und ergänzt: „Andererseits haben wir es bei unserer Arbeit nun einmal mit Menschen zu tun.“ Und um diese kennenzulernen und einschätzen zu können, sei ein persönliches Gespräch immer noch am besten geeignet. Ein solches Programm könne also als ein einzelner Baustein im Bewerbungsverfahren fungieren, keinesfalls aber den Bewerbungsprozess ganz oder zum Großteil ersetzen. 

Auch als Einstieg sei es durchaus kritisch zu sehen: „Wir haben es mittlerweile mit einem Bewerbermarkt zu tun“. Durch den Fachkräftemangel können sich viele Bewerber die Stellen mittlerweile aussuchen und so seien es nun die Unternehmen, die andere von sich überzeugen müssen. „Deswegen setzen wir ganz stark auf den persönlichen Kontakt – ein einseitiges Bewerbungsgespräch mit dem Computer ohne Möglichkeit für Rückfragen wäre da eher kontraproduktiv“, ergänzt Wanke hinzu. 

Aus diesem Grund führt die HR-Abteilung von Drees & Sommer lieber ein Telefonat zu viel, als eines zu wenig. Der persönliche Kontakt mit den Bewerbern wird gesucht, um auf sie einzugehen und sie so vom Unternehmen zu überzeugen. Denn wer starke Charaktere sucht, der muss auch bereit sein, diesen auf Augenhöhe zu begegnen – und nicht durch einseitige Bewerbungsverfahren den Dialog verweigern. 
Und so denke ich mir: Schlanke Prozesse durch Standardisierung schön und gut – aber zur Personalauswahl gehört eben immer noch ein erhebliches Maß an Persönlichkeit. 

Was waren Ihre skurrilsten Bewerbungsgespräche? Teilen Sie Ihre Erfahrungen in den Kommentaren!