Es gibt zwei Sichtweisen auf die Welt, zwei Denkhaltungen, die sich wechselseitig nie geheuer waren, die aber, würden sie sich aufeinander einlassen, viel bewirken könnten.
Die eine ist die geisteswissenschaftliche Perspektive. Allein der Begriff „Geist“ scheint manchen schon als Affront. Zumindest aber trägt er heute den faden Beigeschmack verstaubter Bücher und nutzlosen Geredes. Diese Weltsicht bemüht sich um ein (zunächst meist zurückblickendes) Verstehen der Menschen und ihrer Produkte, und oft geht die Einsicht in die Grenzen des eigenen Wissens damit einher. Ein gewisser Pessimismus kommt, stark verkürzt gesprochen, deshalb nicht von ungefähr.
Die andere Sichtweise ist der naturwissenschaftlich-technische Blick. Er begreift das Dasein als ein prinzipiell analysier- und erklärbares. Probleme sind lediglich unentdeckte Lösungen. Daraus resultiert ein, wenigstens bis vor Kurzem, ungebrochener Zukunftsoptimismus: Die Welt ist nach den Vorstellungen der Menschen gestaltbar. Herausforderungen lassen sich grundsätzlich in den Griff bekommen, zumindest wenn man einen klaren Plan hat.
Precht macht vor, wie eine Vermittlung aussehen könnte
Obschon die zweite Haltung in den vergangenen rund zweihundertfünfzig Jahren extrem erfolgreich war, ist nicht zu übersehen, dass sich die Dinge zunehmend schwieriger gestalten. Trotz immer größerer Eingriff-Tiefe in die Welt bis hinunter auf die subatomare Ebene und einer immer besseren Erklärbarkeit chemisch-physikalischer Zusammenhänge steigen die CO2-Emissionen weiter. Hält der Artenschwund unvermindert an. Wächst das Plastikmüll-Aufkommen im Meer. Werden wichtige Ressourcen knapper. Verlieren wir Tag für Tag wertvolle Böden und Ackerflächen.
An dieser Stelle stellt Richard David Precht einen Vermittlungsversuch vor. Er bringt ihn an den Mann und an die Frau in Form von Büchern, Aufsätzen und Vorträgen – etwa auf einer Veranstaltung in den neuen OWP12 von Drees & Sommer. Precht behauptet dabei nicht, der erste Brückenbauer zwischen den „zwei Kulturen“ (ein Ausdruck des Wissenschaftlers C. P. Snow) zu sein. Und er gibt rundheraus zu, über keinerlei Baukompetenz zu verfügen. Dennoch wirkt sein Vorschlag zur Vermittlung attraktiv, gerade angesichts der globalen Herausforderungen: Mit seinem philosophischen Generalisten-Background (erste Kultur) möchte er die untereinander isolierten ingenieurstechnischen Wissensinseln (zweite Kultur) integrieren. Zusammenbringen will er an diesem Nachmittag bei Drees & Sommer zum Beispiel Tragwerksplaner, Anlagentechniker, CREM-Experten, IT-Spezialisten, Entwurfsarchitekten. Das übergeordnete Ziel ist ein zweiter Vermittlungsakt: Die für Richard David Precht „falsche Gabelung“ zwischen Verhaltensänderungen (meist mit Verzicht gleichgesetzt) und technologischer Innovation muss überwunden werden.
Durch Technik soll Zukunft so sein wie unsere Gegenwart. Nur grüner
Das weicht ab vom Mainstream. Denn üblicherweise sollen technische Innovationen vor den Zumutungen einer gedeckelten „Weltreichweite“ (so ein Begriff des Soziologen Hartmut Rosa) schützen. Anders gesagt: Dass neue Technologie die Menschen vor unfreiwilligen Verhaltensänderungen bewahrt, ist mehr als ein zufälliger Nebeneffekt. Beispiele: Elektromobilität lässt uns weiter Auto fahren. Die in Aussicht gestellte Wasserstoff-Brennstoffzelle in Flugzeugen uns in einigen Jahren wieder unbeschwert in den Urlaub fliegen. Alternative Baustoffe lassen uns das Bauvolumen der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte aufrecht erhalten. Der stille Wunsch hinter all dem: Dank Technik kann die Zukunft weiterhin so bleiben, wie die Gegenwart ist – wir müssen uns nicht umgewöhnen.
Precht sieht das anders. Für ihn gehen „notwendige Verhaltensänderungen und technologische Innovationen Hand in Hand.“ „Bloß über erstere redet keiner“, findet der Philosoph. Ein Beispiel: Die Elektrifizierung unserer Mobilität hält Precht für den richtigen Weg – wenn er mit einem deutlichen Downsizing der Autos einhergeht, wie es bereits in den 1980er-Jahren Pioniere des E-Auto-Gedankens propagiert haben.
All das hält Richard David Precht für möglich, ja unumgänglich. Motor und Träger dieser doppelten Transformation ist für ihn der deutsche Mittelstand. Bei dessen Akteuren findet er sowohl die notwendige Werteorientierung als auch die Perspektive auf langfristige Veränderungen. „Der deutsche Mittelstand hat die Zähigkeit, Zukunft zu fordern“, fasst er es optimistisch zusammen. Dann fordern wir doch mal!