„Ruhestand? Nein, danke!“
Herr Sommer, große Projekte wie der Potsdamer Platz in Berlin oder das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart tragen Ihre Handschrift. Gibt es Projekte, auf die Sie im Rückblick besonders stolz sind?
Hans Sommer: An jedes Projekt, das ich begleitet habe, hatte ich den Anspruch, für den jeweiligen Kunden ein innovatives und wirtschaftliches Gebäude zu entwickeln. Dabei hatte ich stets zukunftsorientierte Arbeitswelten und zunehmend die Reduzierung des Energieverbrauchs im Blick. Besonders stolz bin ich dabei auf zwei gar nicht mal so große Gebäude.
Welche sind das?
Im Jahr 1990 habe ich bereits unser erstes Bürogebäude in Stuttgart-Vaihingen an den Oberen Waldplätzen 13, OWP13 genannt, konzipiert – nach dem damals völlig neuen Prinzip der Kombibüros und einer transparenten Bürolandschaft. Einen niedrigen Energieverbrauch haben wir mit wenig Technik und Bauteilaktivierung durch ein gut gedämmtes Gebäude im Winter erreicht. Im Sommer sorgt eine intelligente natürliche Lüftung nach dem Prinzip der persischen Windtürme für Kühlung. 10 Jahre später folgte dann unser nächstes Bürogebäude an den Oberen Waldplätzen 11, das Gebäude OWP11. Es gilt als das erste Niedrigenergie-Bürogebäude in Deutschland, das ich 2000 zusammen mit Eberhard Oesterle, Michael Bauer und weiteren Experten von Drees & Sommer umgesetzt habe.
Energiesparend und wegweisend für neue Arbeitswelten: Die OWP13 setzte bereits 1990 Maßstäbe für Nachhaltigkeit und produktivitätsfördernde Bürolandschaften.
Das Gebäude OWP11 hat die erst sieben Jahre später gegründete Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) im Nachgang dann sogar mehrfach mit Gold und Platin prämiert. Warum?
Begründet hat es die DGNB mit den hervorragenden energetischen Eigenschaften aufgrund von Geothermienutzung sowie dem außergewöhnlich hohen Wärmeschutz der Gebäudehülle bei gleichzeitig sehr hohem Komfort. Eine Wärmepumpe mit Geothermie und das neue Prinzip der Bauteilheizung in der Betondecke ergibt in Summe außerdem äußerst niedrige Energiekosten. Und durch Umkehr der Pump-Richtung unter Umgehung der Wärmepumpe lässt sich das Gebäude im Sommer wunderbar kühlen. Inzwischen wird die OWP11 mit grünem Strom betrieben und ist mittlerweile sogar ein Null-CO2-Gebäude.
Und was hat Sie dabei angetrieben?
Zunächst die Idee von positiv inspirierten Arbeitsbedingungen – sowohl konzeptionell als auch klimatisch – und das ohne Energieverschwendung. Eine Denkweise, die vor allem in den 80er- und 90er-Jahren – aber auch noch 2000 wenig verbreitet war – aber heute wichtiger und aktueller ist als jemals zuvor: Reduzierung der Energieverschwendung!
Diese Energieverschwendung war Ihnen offensichtlich schon sehr früh ein Dorn im Auge …
Ja, es hat mich tatsächlich schon seit Anfang der 80er-Jahre umgetrieben, wie gebaut werden müsste, damit Gebäude intelligent und nachhaltig im Wortsinn sind – und für mich beinhaltete das mehrere Dimensionen. Es hat mich immer fasziniert, dass schon die Römer in Teilen fortschrittlicher und zugleich nachhaltiger bauten, als wir. Die Erkenntnis habe ich schon früh aus einem Teil der zehn Bücher des Vitruv über die Architektur gewonnen. Seine Werke habe ich verschlungen, da sie zahlreiche Anleitungen zum modularen Bauen, aber auch Hinweise und bauphysikalische Vorgaben für Anpassungen der Gebäude an unterschiedliche Klimazonen enthalten. Und immer ging es dabei um Effektivität.
Die OWP11 gilt als erstes Niedrigenergie-Bürogebäude Deutschlands, Inzwischen wird das Gebäude mit grünem Strom betrieben und ist mittlerweile sogar ein Null-CO2-Gebäude.
„Angetrieben hat mich die Idee von positiv inspirierten Arbeitsbedingungen – sowohl konzeptionell als auch klimatisch – und das ohne Energieverschwendung.“
Wie konnten Sie denn Ihre Erkenntnisse in die Praxis umsetzen?
Beispielsweise haben wir schon Anfang der 80er-Jahre die ersten Simulationsprogramme entwickelt, mit deren Hilfe man den Energieverbrauch in einem Gebäude in Abhängigkeit von der Gebäudehülle und der Nutzung darstellen konnte. Und das war wie eine Revolution. Die Leute bekamen erst durch solche Simulationen mit, welch ein gigantischer Stromverbrauch für die damals verwendeten Zwei-Kanal-Klimaanlagen mit einer Temperaturbegrenzung von maximal 22 Grad im Sommer erforderlich war. Wer Betriebskosten also niedrig halten wollte, der musste zahlreiche Maßnahmen zur Energieeinsparung realisieren.
Und wie haben Sie die Kunden davon überzeugen können?
Ich hatte schon früh erkannt, dass die Eigennutzer von Gebäuden weniger an der Einsparung von Klimageräten und Energie interessiert waren, als vielmehr an den damit einhergehenden Kostenersparnissen. Diese Einsparungen, also die Gesamtwirtschaftlichkeit, war bis zu den 90er-Jahren der Hebel zum Energiesparen.
Was hat sich denn dann verändert?
Ab den 90er-Jahren hatten wir es immer häufiger mit Investoren zu tun, die die früheren Eigennutzer abgelöst hatten. Denen war die Energieeinsparung nicht mehr so wichtig, denn die Gebäude wurden ja für die späteren Nutzer errichtet, die dann die Kosten tragen mussten. So wurden wieder viele Gebäude erstellt, die vor allem durch eine imposante Architektur mit viel Glas Eindruck machen sollten, was wieder aufwendige Klimaanlagen und einen hohen Energieverbrauch bedeutete. Aber auch hierfür haben wir eine Strategie entwickelt, indem wir deutlich machten, dass ein Gebäude mit geringen Energiekosten besser zu vermarkten war, als ein Energiefresser. Das Thema haben wir dann insgesamt auf den Begriff des nachhaltigen Bauens ausgeweitet, also auch auf die Auswahl der Baustoffe.
Und diese Faktoren sind damals schon in Ihre eigengenutzten Firmengebäude eingeflossen?
Ja! Bei den angesprochenen Projekten OWP13 und OWP11, aber auch bei Großprojekten wie dem Potsdamer Platz haben wir die Philosophie der Nachhaltigkeit über Energieeffizienz hinaus gedacht und uns mit dem uns eigenen „blue way“ als Unternehmen einen speziellen USP erarbeitet.
Und was beinhaltet der blue way?
Der blue way bedeutet für uns kurz und knapp: Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Ohne Wirtschaftlichkeit kein ökologischer Fortschritt.
„Der blue way bedeutet für uns kurz und knapp: Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Ohne Wirtschaftlichkeit kein ökologischer Fortschritt.“
Als erstes Stadtquartier erhielt der Potsdamer Platz 2011 das DGNB-Zertifikat Neubau Stadtquartiere (NSQ).
Können Sie das konkreter ausführen?
Zum blue way gehört ein ganzes Paket von Maßnahmen: von der Schonung der Energie- und Materialressourcen über die Funktionalität der Räume bis hin zu Gesundheitsthemen und der Prozessabwicklung. Und nicht zuletzt spielen die sozialen Faktoren eine immense Rolle, wozu für mich auch immer das Fördern von Kunst und Kultur zählt. Heute würde man das wohl ESG-relevante Faktoren nennen. Zum Beispiel verfügt das Atrium der OWP13 über eine hervorragende Akustik, ich hatte mich bei der Planung architektonisch an dem historischen Globe Theatre orientiert. Die Nachwuchskünstler:innen der Jungen Oper Stuttgart – aber auch die Profis – haben das mit herausragenden Aufführungen bewiesen, die mich immer begeistert haben. Gerade in der Kunst gibt es so viele Ausdrucksformen, die zur Meinungsvielfalt und zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft unverzichtbar sind. Was ich schon damals zeigen wollte: Ein Blue Building ist vielseitig, nachhaltig und wirtschaftlich zugleich – und es muss die ästhetische und künstlerische Gestaltung nicht einschränken.
Stichwort Ästhetik: Das ist ja für die Zunft der Architektur eine maßgebliche Anforderung. Sie sind als ein Verfechter der Modularisierung bekannt. Plädieren Sie für das Ende der individuellen Architektur?
Nein. Überhaupt nicht. Individuelle Architektur wird wichtig bleiben, aber wir müssen sie effizienter gestalten. Durch eine Optimierung der Geometrie und die Modularisierung von Räumen und Bauelementen lässt sich die Komplexität auch von individuellen Gebäuden um bis zu 80 Prozent reduzieren, ohne dass sich die Architektur ändern muss. Aber dazu werden individuelle Gebäude künftig mit möglichst vielen standardisierten Teilen geplant. Dafür gibt es einen Projektbaukasten, der viele Elemente aus einem generellen Baukasten enthält. So kann man auch individuelle Gebäude ganz oder teilweise mit industrieller Vorfertigung erstellen. Darum geht es mir.
Sie haben die Alleinstellungsmerkmale von Drees & Sommer angesprochen. Inwieweit trägt dazu auch Ihre Unternehmensstruktur bei?
Drees & Sommer wird ja von einer Partnerschaft geführt, der das Unternehmen gehört. Das macht uns unabhängig. Für mich war diese Organisationsform einfach logisch, denn sie fördert das unternehmerische Denken der Mitarbeitenden. Diese sollen möglichst viele Entscheidungen selbst treffen und dafür Verantwortung übernehmen. Also Selbstregelung und Amöbenstruktur, wie ich das Arbeiten in kleinen beweglichen Einheiten nenne, sind im Unternehmensbild fest verankert und damit sind wir ja bislang sehr gut gefahren. Ich halte es bei der Mitarbeiterführung gerne mit dem Motto der Transaktionsanalyse „ich bin okay- und du bist okay“, für einen Austausch auf Augenhöhe. Ich habe mich nie an starre Maximen der Personalpolitik gehalten, wenn ich sie sinnlos fand. Gute Leute haben meistens eine Macke, und das meine ich im positiven Sinn. Schulnoten, weder gute noch schlechte, lassen sich nicht einfach auf den beruflichen Erfolg projizieren und Äußerlichkeiten wie die Haarlänge lassen auch keinen Schluss auf Managerqualitäten zu.
In puncto Managerqualitäten wurden Sie im Jahr 2006 von Immobilien- und Finanzjournalisten beurteilt. Die Jury betitelte Sie als „Mr. Future“. Sehen Sie sich auch im Jahr 2022 noch in dieser Rolle?
Welche Rolle oder Titel mir andere geben, war mir nie besonders wichtig, auch wenn es sicher als nettes Kompliment gemeint war. Für mich geht es gar nicht anders, als mir Gedanken über die Zukunft zu machen – welche Herausforderungen werden kommen und wie können wir sie lösen. So habe ich mir sehr früh schon Gedanken über eine enkelfähige Zukunft und damit über die Veränderung des Klimas gemacht. Da sind wir alle zu defensiv und zu unentschlossen. Deshalb konzentriere ich mich auf sämtliche Aspekte der Energiewende, die wir beschleunigen müssen.
„Individuelle Architektur wird wichtig bleiben, aber wir müssen sie effizienter gestalten.“
Welche Aspekte halten Sie in puncto Energiewende für wesentlich?
Die aktuelle Energieknappheit wirkt jetzt wie ein Booster für weitere Energieeinsparungen, aber auch für eine neue, nachhaltige Energieerzeugung. Endlich ist auch die Politik mehrheitlich davon überzeugt, dass nicht nur Windräder und Solaranlagen erforderlich sind, sondern auch eine Wasserstoffwirtschaft, die rentabel ist! Dazu werden wir international, ja global denken müssen. Deutschland wird immer ein Importland von Energie bleiben – auch im Zeitalter erneuerbarer Energien. Was ergibt sich daraus? Wie kann unsere Wirtschaft hier Chancen ergreifen, um technologisch vorne zu sein? Mit diesen und weiteren Themen werde ich mich intensiv beschäftigen. Und Drees & Sommer wird 2023 einen Energiewende-Kongress initiieren, den ich mitkonzipiere. Darauf und auf viele weitere Aktivitäten freue ich mich schon sehr.
Prof. Dr.-Ing. Hans Sommer
1941 geboren, studierte Hans Sommer Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Stuttgart. Nach einer Tätigkeit als Statiker und Konstrukteur bei der Baresel AG in Stuttgart trat er im Jahr 1971 in das Ingenieurbüro Drees, Kuhne u. Partner ein, aus dem 1976 die Drees & Sommer GBR wurde. Ab 1984 war Hans Sommer Hauptgesellschafter der GBR, die neben den jeweiligen Geschäftsführern zu mindestens 50 Prozent an den Regionalgesellschaften beteiligt war. Nach der Umwandlung der GBR in die Drees & Sommer AG im Jahr 1992 war er Hauptgesellschafter und Vorsitzender des Vorstands. Im Jahr 1999 brachten alle Regionalgeschäftsführer der Drees & Sommer-Gruppe ihre Anteile in die AG ein. Dazu wurde rechtlich das Konsortium und organisatorisch die Partnerschaft von Drees & Sommer gegründet. 2008 übergab Hans Sommer seine Vorstands-Position und übernahm bis Ende 2022 den Vorsitz des Aufsichtsrats des Unternehmens, das seit 2018 als Drees & Sommer SE firmiert. Zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit zählten insbesondere inhaltliches Projektmanagement, Digitalisierung, Integration zukunftsorientierter und nachhaltiger Planungsleistungen sowie die Abwicklung von Großprojekten im Hochbau und große Infrastrukturprojekte. Hierzu hat er zahlreiche Aufsätze und Bücher publiziert, unter anderem 1983 seine Dissertation zur Kostensteuerung mit der Kostenelementmethode. Dr. Hans Sommer wurde 1986 Honorarprofessor der Universität Stuttgart, er engagiert sich im Kuratorium des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und ist seit 2011 auch Ideengeber zur Umsetzung der Energiewende und für den Bereich Wasserstoffwirtschaft.