THE FUTURE IS NEUTRAL - DAS LOHNT SICH

Interview mit Patrizia Ilda Valentini, Head of Mobilize, Renault Group

Einst studierte sie Handelswissenschaften und arbeitete zehn Jahre lang im Familienbetrieb für den altehrwürdigen Wiener Kranzschleifenhersteller Hugo Botschen, seit Februar 2001 ist Patrizia Ilda Valentini für Renault tätig, seit Anfang 2024 als Head of Mobilize in der österreichischen Hauptstadt. Die Marke innerhalb der Renault Gruppe steht für nachhaltige und innovative Mobilitäts- und Ladelösungen. In ihrer Funktion rührt Patrizia Ilda Valentini unter anderem die Werbetrommel für ein Zukunftsthema, dem sich das französische Automobilunternehmen bereits 2010 angenommen hat: der Kreislaufwirtschaft.

D&S: Patrizia, die europäische Automobilbranche steckt in einer tiefen Krise, besonders in Deutschland. Die Elektroautos deutscher Hersteller sind Ladenhüter, die Absatzmärkte in den USA und China brechen ein, die Produktion wird heruntergefahren. Wie beurteilst du aktuell den Markt?

Patrizia Ilda Valentini: Wir stehen vor einem sehr herausfordernden Jahrzehnt mit vielen Umbrüchen. Europas Autobranche kommt aus dem Verbrenner. Wir waren – gemeinsam mit Ford – die Erfinder des Automobils. Jetzt erleben wir eine technologische Transformation, die zu Verschiebungen in der Produktion und auf der makroökonomischen Ebene führt und zu Problematiken für uns in Europa. Der Umstieg auf die Elektromobilität und die Umwandlung der Maschinerie müssen finanziert werden und das Investment kommt bei uns aus dem Ertrag durch das Verbrenner-Geschäft. Für asiatische Hersteller gelten diese Voraussetzungen weniger. Das ist ihr Vorteil.

D&S: Was machen die asiatischen Hersteller besser als ihre europäischen Konkurrenten?

Patrizia Ilda Valentini: Sie bauen das Fahrzeug um die Software. Für viele in Asien ist das Fahrzeug eigentlich ein Handy auf Rädern. Und sie können extrem schnell Fahrzeuge entwickeln, viel, viel schneller als wir. Das ist ein richtig großes Savoir-faire, dass wir erst lernen müssen. Das fällt uns schwer. Befremdend für uns ist auch der Mut zur Lücke der Asiaten, wenn sie mit neuen Produkten auf den Markt kommen. Wenn wir die Weichen in die gleiche Richtung stellen wollen, müssen wir als Erstes unsere Mentalität ändern, müssen unsere Arbeitsgruppen anpassen und unsere Strategie. Erst am Ende kommt die Technologie. Die Renault-Gruppe hat die Schwierigkeiten früh erkannt. Wir setzen schon seit Jahren auf die Elektromobilität und haben das Ganze zusätzlich mit der Kreislaufwirtschaft verwoben. Aktuell erleben wir zwar vor allem in Deutschland einen rückläufigen Markt im Bereich der Elektromobilität, aber ich denke, das ist nur eine kurzfristige Sache.

D&S: Was macht dich da zuversichtlich?

Patrizia Ilda Valentini: Wir hatten jetzt das große Wahljahr in Europa, in dem politische Entscheidungen aus dem „Fit for 55“-Plan der EU in Frage gestellt worden sind. Ich vertraue der neuen Kommission, dass wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Damit wird sich der Markt für die Elektromobilität mit Sicherheit erholen. Wir brauchen allerdings weiter Unterstützung. Der Markt ist noch nicht so weit, dass er ganz von selbst arbeitet. Das sehen wir in Deutschland, wo Förderungen abgesetzt wurden und das zum Einbruch geführt hat. In Österreich haben wir eine Bundesförderung für die Elektromobilität und wir haben rund 70 zusätzliche Förderungen auf regionaler Ebene.

D&S: Die Renault-Gruppe will in Europa bis 2040 und weltweit bis 2050 klimaneutral werden. Was tut ihr jetzt schon dafür und was müsst ihr noch tun, um diese Ziele zu erreichen?

Patrizia Ilda Valentini: Wir tun viel, sonst könnten wir es nicht schaffen. Als Erstes gilt es, die Produktion zu dekarbonisieren. Wir haben ein vorbildliches Werk in Tanger, Marokko, das mithilfe von Olivenkuchen-Biomasse, Sonne und Windstrom fast in Gänze CO2-frei produziert und wir wollen alle Werke auf erneuerbare Energie umstellen. Wir implementieren Photovoltaik, wir arbeiten mit Geothermie, die Renault-Gruppe hat den größten Ökostromvertrag im Atomkraftland Frankreich, wir sparen dank eines digitalen Zwillings Energie ein, den wir gemeinsam mit Metaverse nutzen, um Prozesse besser zu verstehen und zu koordinieren. Das sind viele, viele kleine Bausteine. Sehr interessant in einem Elektroauto ist die Traktionsbatterie, in der besonders viele wertvolle Ressourcen verbaut sind. Die EU nimmt mit ihrer Batterieverordnung die OEMs in die Pflicht, ihren CO2-Fußabdruck bei den Traktionsbatterien zu senken. Renault erreicht das unter anderem durch eine Partnerschaft mit dem australischen Bergbauunternehmen Vulcan Energy, das in Deutschland – und das ist etwas wirklich Besonderes – Lithium produziert, das aus Thermalquellen gewonnen wird. Dieses Lithium werden wir demnächst beispielsweise im Renault 5 verbauen.

D&S: Du hast es vorhin angerissen und deine Keynote beim neext Themen Dialog "Fabrik, Produktion & Logistik der Zukunft" Mitte Oktober in Graz handelte ebenfalls davon: Die Renault Group ist führend im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Ihr seid davon überzeugt, dass das künftig eine Schlüsselstrategie in der Produktion ist. Warum?

Patrizia Ilda Valentini: Rohstoffe sind nicht unendlich verfügbar. Wir können nicht die ganze Zeit alles aus Mutter Erde herausreißen. Besonders Kupfer erachten wir als kritisch, dazu Lithium, Kobalt sowie sämtliche andere Edelmetalle und seltene Erden. Rohstoffe, die wir brauchen und die heute in Europa nicht verfügbar sind, weswegen wir eine große Abhängigkeit von Südamerika, Afrika, Asien haben. Aber genau genommen sind die Ressourcen bei uns verfügbar, wir müssen sie nur aus dem Müll holen und wieder in die Produktion bringen. Wir haben das erkannt. Wir haben 2010 die Renault Environment gegründet und begonnen, Metalle zurückzuschürfen und in geschlossenen Schleifen in der Produktion zirkulieren zu lassen. Das hinter der Kreislaufwirtschaftsorganisation stehende

Unternehmen heißt mittlerweile „The Future is Neutral“. Seit Oktober 2024 ist Suez mit 20 Prozent beteiligt und wir haben unterschiedliche weitere Unternehmen als Partner dabei.

D&S: Auch in diesem Punkt braucht es völlig andere Denkweisen als bisher. Wie hast du den kulturellen Shift in deinem Umfeld wahrgenommen?

Patrizia Ilda Valentini: Es gab am Anfang sehr viele Fragezeichen. Und selbst jetzt noch, 14 Jahre später, gibt es viel Erklärungsbedarf, sowohl intern, aber auch extern und – ganz, ganz schwierig – beim Kunden, der sich fragt, wie er diese Anstrengung seinem Endkunden erklärt. Ich muss in meinen Schulungen für Händler und Mitarbeiter unglaublich viel Aufklärungsarbeit betreiben und sehr in die Tiefe gehen. Ohne eindeutige Führung ist so ein Kultur- und Wertewandel nicht möglich. Auf politischer Ebene kommt die Kreislaufwirtschaft allerdings auch erst jetzt so langsam in Europa. Das heißt, die Materie ist eigentlich alt, aber doch irgendwie neu.

D&S: In Graz hast du uns eindrucksvoll von der Refactory berichtet, der ersten Produktionsstätte, die sich auf Kreislaufwirtschaft spezialisiert hat. Was ist das Spezielle an ihr?

Patrizia Ilda Valentini: Die Refactory war mal ein Autowerk, das wir unter dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft auf 11.000 Quadratmeter umgebaut haben. Wenn dort heute ein Gebrauchtwagen zurückkommt, schauen wir, ob wir ihn retrofitten können oder recyclen. Wir kontrollieren, ob zum Beispiel bei einem gebrauchten Elektrofahrzeug der sogenannte State of Health einer Traktionsbatterie ausreicht, um sie nach dem Second-Life-Prinzip für einen Pufferspeicher zu verwenden. Wenn ein Kunde einen Renault Trafic als Verbrenner hat, kann er ihn in der Refactory in Flins in der Normandie in ein Elektro Trafic umbauen lassen. Dafür haben wir sehr besondere Retrofit Kits. Die Ressourcen, die als Karosserie dienen, bleiben in Fahrt, aber mit einem neuen Antriebssystem. Dann haben wir in der Refactory die Remakers. Das ist eine Einheit, die Teile von Fahrzeugen wiederaufbereitet – wir reden hier von 11.000 verschiedenen Teilen – und der Produktion zuführt. Dadurch erreichen wir Kosteneinsparungen von bis zu 35 Prozent. Und ganz wichtig ist erwähnen ist, dass es in der Refactory einen Campus gibt, auf dem wir unser Wissen in puncto Kreislaufwirtschaft weitergeben, natürlich mit Schwerpunkt auf die Autobranche, aber auch an interessierte Unternehmen aus anderen Branchen. Es ist wirklich sehr komplex, all das auf einmal an einem Standort! Aber es ist möglich. Wir haben nicht nur in Flins eine Refactory, sondern auch in Bursa in der Türkei und in Valladolid in Spanien. Ob weitere kommen, zum Beispiel in Deutschland und in Österreich, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.

D&S: Das Beispiel zeigt schön, dass sich Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit total miteinander vereinen lassen.

Patrizia Ilda Valentini: Ja, natürlich. Das ist die Grundvoraussetzung. Wir haben vergangenes Jahr fast eine Milliarde Euro Umsatz verzeichnet und bis 2030 streben wir einen Umsatz von 2,3 Milliarden Euro an. Das ist mit der Kraft von Suez und ihrer 20-Prozent-Beteiligung bei „The Future is Neutral“ erreichbar. Wir arbeiten daran, dass wir das Batterie-Recycling auf Industrieniveau heben. Bis jetzt ist der Battery Fleet Stock noch relativ überschaubar, er wird aber kontinuierlich wachsen in Zukunft.

D&S: Wir kommen zum Abschluss und dabei zum Anfang zurück. Du hast eingangs gesagt, die nächsten zehn Jahre werden sehr herausfordernd. Was ist die Erfolgsrezeptur von Renault, um weiter erfolgreich zu sein? Mit welchen Strategien geht ihr in die Zukunft des gerade sehr dynamischen und teilweise turbulenten Automobilumfelds?

Patrizia Ilda Valentini: Wichtig für ein Unternehmen ist, eine Vision zu haben. Die haben wir. Die Vision muss gestützt sein auf das Motto „Erhalte, was gut ist und lass los, was nicht mehr notwendig ist“. Das bedarf Mut zum Loslassen und Kraft, um Neues aufzubauen. Automobilunternehmen können nicht mehr so arbeiten wie in der Vergangenheit und müssen sich ein Stück weit neu erfinden, wie es die Renault-Gruppe zum Beispiel mit der Marke Mobilize gemacht hat. Es braucht ganz klar Forschung und Entwicklung. Wir sind ein Forschungsunternehmen. Wenn wir aufhören, hier Geld zu investieren, haben wir in Kürze ziemliche Probleme. Deswegen sollten europäische Fördergelder auch für wirklich sinnvolle Projekte investiert werden, damit wir im Autosektor nachhaltig in die Zukunft gehen können. Als europäische Hersteller müssen wir außerdem schauen, dass wir mehr miteinander kooperieren. Die Mitbewerber in anderen Teilen der Erde sind groß und stark. Da gilt es mehr an einem Strang zu ziehen – im Sinne des europäischen Gedankens.