Interview mit Oliver Maassen, Mitglied des Vorstands und CHRO, TRUMPF SE + Co. KG
Der gebürtige Hamburger war jahrelang im Personalwesen von Banken tätig, nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann in Düsseldorf und dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Bochum zunächst bei der ehemaligen Vereinsbank in München als Referent im Bereich Personalentwicklung und als Leiter der Einheit Personalmarketing, danach in unterschiedlichen Unternehmensbereichen und Funktionen der UniCredit Group, für die er zwischen 2006 und 2008 von Mailand aus als Head of HR Integration verantwortlich für die Harmonisierung der weltweiten HR-Prozesse war. Nach einem Sabbatical wurde er 2013 Geschäftsführer bei der PAWLIK Consultants GmbH in Hamburg. Seit 2017 ist Oliver Maassen bei TRUMPF in Ditzingen tätig, zunächst als Leiter Human Resources der TRUMPF Gruppe und seit Oktober 2020 als Mitglied des Vorstands und CHRO.
D&S: Herr Maassen, Sie beschäftigen sich praktisch Ihr ganzes Berufsleben schon mit den Herausforderungen der Mitarbeitergewinnung und der Mitarbeiterbindung. Worauf kommt es an und wie setzen Sie das bei TRUMPF um?
Maassen: Das Rekrutieren und das Binden sind zwei Seiten derselben Medaille. Man darf das eine nicht ohne das andere tun. Stellen Sie sich vor, Sie wachsen und haben einen Riesenrekrutierungsschub vor sich. Weil Sie aber zu wenig bei der Retention getan haben, verlieren Sie ungewollt viele Leute. Dann verdoppelt sich am Ende ihr notwendiges Rekrutierungsvolumen. TRUMPF ist in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen. Allein im abgelaufenen Geschäftsjahr haben wir 1800 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüßt, das ist ein echtes Thema, wenn insgesamt 15.000 beschäftigt sind. Und da fängt Bindung schon an: mit den Fragen, wie ich das Onboarding gestalte, wie ich verhindere, dass die Neuen doch nicht kommen, wie ich sie reinhole und integriere. Ich höre immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, dass sie so viele No-Shows haben, das gibt es bei uns Gott sei Dank nur in einem ganz geringen Maße. Dazu muss man nah dran bleiben an den Leuten, um so früh wie möglich Bindung zu erzeugen. Ich habe heute wieder viele Stunden mit unseren neuen Auszubildenden verbracht; zum ersten Mal haben wir bei TRUMPF mehr als 100 Nachwuchskräfte eingestellt, fast doppelt so viele wie im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Zu diesen haben wir in der Zeit zwischen Vertragsabschluss und Ausbildungsbeginn den Kontakt gehalten, wir haben sogar einen Elternabend veranstaltet, um die Familien mit reinzunehmen und den Eltern zu zeigen, was wir mit ihren Kindern vorhaben.
D&S: Nehmen die Herausforderungen in unseren turbulenten Zeiten an Bedeutung noch zu?
Maassen: Immens. Plastisch ausgedrückt: Wir sprechen ja oft vom Goldfischteich oder Talentpool. Ich stelle fest, dass der Teich, in dem wir fischen, deutlich weniger Wasser hat, aufgrund des niedrigeren Bildungsniveaus und anderer Probleme der Generation Y und Z. Er hat aus demografischen Gründen auch weniger Fische, während die Angler, die um den Teich herumsitzen, deutlich mehr geworden sind. Und da wird es schwierig: Wir wissen gar nicht genau, welcher Köder den Fischen eigentlich schmeckt. Teilweise angeln wir mit Ködern, von denen wir wissen sollten, dass es die falschen sind. Das beschreibt das Dilemma auf dem Rekrutierungsmarkt, da müssen wir neue Antworten finden. Die suchen wir beständig. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren überlegt, wie wir Prozesse verschlanken, welche Tools wir brauchen, welche Mechanismen funktionieren usw.
D&S: Welche Faktoren sind besonders wichtig, um die Generation Z für sich zu gewinnen? Ist es eher der Purpose als das hohe Gehalt?
Maassen: Absolut. Die Frage nach dem Sinnstiftenden des Unternehmens wird sehr stark gestellt von der Generation Z. Der Wunsch nach Augenhöhe und Mitbestimmung am besten gleich von Tag eins an ist weit verbreitet. Da müssen wir viel erklären, dass es so schnell nicht geht und sie erst mal beweisen sollen, es wert zu sein, dass wir in sie investieren. Wobei – und das ist mir wichtig – wir nicht zu sehr in Stereotypen denken dürfen. Auch ich habe Elemente der Generation Z in mir, genauso hat die Generation Z Elemente der Babyboomer in sich. Bemerkenswert finde ich: Wir haben festgestellt, dass das Elternhaus wieder eine viel größere Rolle bei der Berufswahl spielt. Deswegen machen wir auch die Elternabende. Eine der Ausbildungsgruppen, die gerade den nächsten Elternabend organisiert, will Strohsterne basteln. Wir waren total überrascht, als wir das gehört haben. Hätte ich das vorgeschlagen, hätten meine Ausbilder „Maassen, du hast sie ja nicht mehr alle. In welcher Generation lebst du denn?“ gefragt. Die Auszubildenden sagen „Wieso, das macht doch Spaß!“, sie finden das kommunikativ. Ich denke: Das ist toll, das steht für geteilte Werte, das passt in ein Familienunternehmen wie unseres.
D&S: Für die Retention spielen die Führungskräfte eine wichtige Rolle, schließlich kann HR nicht alles zentral regeln. Wie befähigen Sie bei TRUMPF Ihre Führungskräfte?
Maassen: Richtig, am simplen Spruch „Menschen kommen wegen des Unternehmens und sie verlassen das Unternehmen wegen der Führungskraft“ ist in vielen Firmen Wahres dran. Sie können ein noch so tolles Employer Branding machen, wenn sie schlechte Führungskräfte haben, ist alles für die Katz. Deshalb haben wir schon vor ein paar Jahren unsere Führungskräfte-Entwicklung komplett auf neue Füße gestellt – mit deutlich mehr Selbststeuerung. Der Wunsch, an welchen Kompetenzen sie wann und wie arbeiten wollen oder sollen, geht heute viel stärker von der jeweiligen Führungskraft aus als von HR, eine Pull- statt einer Push-Strategie. Das ist der erste Punkt. Der zweite: Wir gucken angesichts der Herausforderungen in Wirtschaft und Geopolitik gerade alle in die Glaskugel und wissen nicht, was morgen passiert. Das Kompetenzmanagement muss auf die veränderten Rahmenbedingungen der VUCA-Welt ausgerichtet sein. Die Frage, wie die Führungskräfte selbst da noch den nötigen Drive auf die Straße bringen und sich gleichzeitig um ihre Mitarbeiter kümmern, muss Teil des täglichen Doings sein. Ich halte nichts davon, das in Zielvereinbarungen zu schreiben und so zu tun, als sei das etwas Besonderes. „A leader is someone who has followers“ – das ist für mich die einfachste Beschreibung von Führung.
D&S: Und wie kriege ich als Führungskraft Followers?
Maassen: Jedenfalls nicht, indem Sie sie am Strick hinter sich herziehen. Die Mitarbeiter müssen Ihnen aus freiwilligen Stücken folgen, aus Begeisterung, weil Sie als Führungskraft verstanden haben, was Ihre Follower brauchen. Stichwort: situative Führung. Stichwort: die Führungskraft als Coach. Das sind nach meiner Überzeugung die Themen, in die wir zunehmend investieren müssen. Eine Führungskraft muss einen Sinn und einen Kontext vermitteln können, sie muss Storytelling beherrschen, sie muss mit dem Flurfunk umzugehen wissen, der alles Mögliche kolportiert. Sie muss dann hingehen und sagen: „Leute, das ist Flurfunk, ich kann das weder bestätigen noch dementieren, ich komme rechtzeitig auf euch zu, wenn es konkret wird.“ Das sind beispielhafte Anforderungen an Führungskräfte. Die Anforderung an HR ist, diese Anforderungen zu vermitteln.
D&S: Gilt das global oder gibt es individuelle Besonderheiten in den Weltregionen, in denen TRUMPF tätig ist?
Maassen: Nein. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zwischen Asien, Europa und Amerika, doch unsere Führungskräfte-Entwicklung leitet sich überall vom angerissenen Kompetenzmodell ab.
D&S: Sprechen wir über das mobile Arbeiten und den Wandel der Arbeitswelt, wo es je nach Abteilung – Produktion, Forschung und Entwicklung etc. – unterschiedliche Implikationen gibt. Wie gehen Sie bei TRUMPF mit dem Thema „New Work“ um?
Maassen: Zunächst einmal spreche ich nicht von „New Work“. Was soll das bitte sein? Und wovon sprechen wir dann nach der nächsten Krise: Von new New Work? Work 4.0 oder 7.0? Entscheidend ist, Good Work zu leisten, dann müssen wir nicht alles new machen. Das mobile Arbeiten (übrigens bei uns schon seit mehr als fünf Jahren im Unternehmen verankert) haben wir in der Pandemie neu diskutiert und wir haben beobachtet, wie es anderswo läuft. Aus meiner Sicht haben sich zu Beginn der Pandemie einige Unternehmen zu früh festgelegt und sich damit viel Ärger und Unfrieden eingefangen. Unsere Betriebsvereinbarung sagt im Wesentlichen: Es hängt von der Arbeitsaufgabe, ob mobiles Arbeiten möglich ist. Nehmen wir HR. Die Payroll ist noch nicht voll digitalisiert, die Kolleginnen und Kollegen sind darauf angewiesen, nah an Akten und Dokumenten zu sitzen. Unsere IT-Entwicklung hingegen sitzt nur am Computer. Da ist es völlig in Ordnung, wenn die Leute auch mal drei oder vier Tage zu Hause sind. Allerdings gibt es ein paar einschränkende Prämissen, von denen wir als Unternehmensleitung überzeugt sind. Erstens können wir als soziale Wesen im virtuellen Raum schlechter miteinander agieren, zweitens funktioniert Innovation beim mobilen Arbeiten weniger und drittens gilt ein gewisser Gleichbehandlungsgrundsatz. Ich kann der Produktion nicht den Reinraum zuhause im Badezimmer aufbauen, die muss vor Ort sein. Da kann ich als Vorstand auch ein Stück Solidarität im Unternehmen erwarten. Dann kann es eben niemanden geben, der monatelang nicht zu sehen ist, weil er im Homeoffice sitzt.
D&S: Wie viel mobiles Arbeiten möglich ist, hängt also von der jeweiligen Arbeitsaufgabe ab?
Maassen: Genau, unter Berücksichtigung der drei Ankerpunkte. Wir überlassen den Führungskräften die Entscheidung. Interessanterweise fordern die ja immer wieder Eigenverantwortung. In diesem Fall kam plötzlich der Ruf nach einer Vorgabe: „Sagt uns bitte eine Zahl. Wollt Ihr lieber 40 oder 50 oder 60 Prozent Anwesenheit?“ Aber wir nennen keine Zahl, wir machen keine Vorgaben. Wir bieten nur an, dabei zu helfen, die richtige Zahl zu finden. Und dass wir die Möglichkeit fürs mobile Arbeiten anbieten, ist wichtig fürs Recruiting. Bewerberinnen und Bewerbern aus der Generation Z fragen sofort danach. Denen können Sie nicht sagen, dass sie bei uns fünf Tage die Woche vor Ort sein müssen, sonst haben sie bald keine neuen Mitarbeiter mehr.
D&S: Welche Rolle spielt unter den Umständen das Thema Diversity?
Maassen: Natürlich eine große. Nehmen Sie allein die Tatsache, dass MINT-Fächer tendenziell weniger von der weiblichen Bevölkerung belegt werden als von der männlichen. Da müssen wir viel investieren und jungen Frauen zeigen, wie spannend MINT ist – in der Vorschule, der Schule und an der Universität. Das tun wir auch. Allerdings reagiere ich allergisch darauf, wenn man in Deutschland über Diversity spricht und sofort auf die Frauenquote kommt. Die Beschränkung auf das Genderthema ist einfach zu kurz gedacht. Wenn ich mit Ihnen über das Thema spreche, will ich wissen, wie altersdivers Ihr Vorstand und Ihre Belegschaft ist. Haben Sie viereinhalb Generationen im Unternehmen und was tun Sie, um die Generation am Anfang und die am Ende zusammenzubringen? Was machen Sie in puncto sexueller Orientierung, was für ethnische Minderheiten? Und dann vor allem – da fängt Diversität an Spaß zu machen: Welches Setup von Kompetenzen und Skills haben Sie? Sind Sie eher divers oder eher selbstähnlich? Ich beobachte bei TRUMPF eine große Selbstähnlichkeit beim Einstellen. Das aufzubrechen, bunter zu werden, in allen Aspekten – das ist ganz, ganz wichtig.