Wenn einer eine Reise tut – und die Heimat besucht, dann erlebt er ehemals Gewohntes neu. Dennis Schulz aus unserem Shanghaier Büro schildert Eindrücke von seinen Reisen „nach Hause“.
Mit einer Unterbrechung lebe ich nun über zehn Jahre in China. Lediglich ein- bis zweimal komme ich pro Jahr nach Deutschland. Ich habe mal zusammengeschrieben, wie sich das anfühlt. Mit einem Augenzwinkern.
Tatsächlich ist es jedes Mal eine ernste Umstellung. Nicht umsonst gibt es den Begriff des „Reverse Culture Shock“ für Menschen, die aus dem Ausland zurückkehren. In weiter Ferne, so nah. Deutschland ist für mich beides: Zuhause und doch so weit weg. Es sind viele Dinge, die einem durch den Kopf gehen, viele Eindrücke, manchmal Banalitäten, die mich erstaunen …
Hamburg. Der Hafen, die Lichter, die Sehnsucht … begleiten das Schiff in die Ferne hinaus. Elbe. Alster. Schiffe. Hach, schön isses schon. Meine Familie und ich genießen die klare Luft. Es macht Spaß, die verschiedenen Stadtteile mit ihrer eigenen Identität zu erkunden. Die Stadt ist bunter und grüner als chinesische Städte. Gerade Hamburg mit seinen Subkulturen ist für uns „multikulti“. China dagegen ist mehr oder minder eine „Monokultur“. Die Anzahl der dort lebenden Ausländer ist im Vergleich zu deutschen Städten verschwindend gering. Andererseits ist es unter den anderen internationalen Bewohnern umso einfacher, neue Leute kennenzulernen, wir machen als „Exoten“ ähnliche Erfahrungen – ein Gruppengefühl ist sofort da.
Manchmal ist es enttäuschend, dass sich zwischen den Besuchen in Deutschland quasi nichts verändert. Andererseits ist es ebendiese Beständigkeit, die beruhigt. Und auch Geborgenheit vermittelt.
Insgesamt konnte ich an mir selber beobachten, wie sich die Wahrnehmung meiner Umgebung veränderte. Selber mit drei Brüdern groß geworden, fand ich nun Familien mit mehr als einem Kind eigenartig. Wo man in China bisher nur ein Kind haben durfte, brannte sich das Bild der Ein-Kind-Familie eben doch ein. Man sieht im Grunde keine Familien mit zwei Kindern und wenn doch, fällt es sofort auf.
Der vorletzte Deutschlandbesuch war zu Heiligabend. Keine Autos, keine Menschen auf der Straße. Klar, die saßen ja alle um ihre Weihnachtsbäume herum. Mir kam es aber vor, als hätte uns die Apokalypse eingeholt – die Ruhe und Leere war äußerst ungewohnt. Hinzu kam noch die nahezu totale Dunkelheit in der Nacht. Zugegebenermaßen ist das sicherlich auch dem Vorort geschuldet, in dem mein Vater lebt. Aber gefühlt wird es in Peking oder Shanghai eben nie dunkel. Mir wurde klar, was der Begriff „Lichtverschmutzung“ zum Ausdruck bringen soll.
Lost in zwei Muttersprachen
Bei einer Ankunft in Deutschland sprach ich den Taxifahrer zunächst auf Englisch an. Es macht mich oft wahnsinnig, überall Deutsch zu hören. Permanent bin ich irritiert, dass so viele Deutsche um mich herum sind. So viel Sprachmüll, den ich ungewollt aufsammle. Ich genieße es, mich in Peking oder Shanghai durch die Stadt zu bewegen und kaum etwas von dem Gebrabbel aufzunehmen, das um mich herum stattfindet.
Der letzte Deutschlandurlaub war ein bisschen wie „Sprachurlaub“ für unsere zweieinhalbjährige Tochter Anika Yanqing. Sie spricht quasi fließend Chinesisch, aber kaum Deutsch. Das hält sie übrigens nicht davon ab, das chinesische Kindermädchen, das mit ihr Englisch spricht, sehr selbstbewusst über die deutsche Sprache zu belehren. Daher hatte ich etwas Sorge, dass nach unserem dreiwöchigen Aufenthalt eher Opa in Hamburg Chinesisch sprechen könnte als meine Tochter Deutsch. Aber die Sorge erwies sich als unbegründet. Tatsächlich ist ihr Sprachschatz ganz schön gewachsen.
Geregeltes Chaos und technische Spielwiese
Gelacht habe ich zu Hause in Hamburg, als morgens die U-Bahn leer war. Mitten in der Hauptverkehrszeit fand ich einen Sitzplatz! In Peking mied ich morgens die U-Bahn, da ich nicht einmal einen Stehplatz bekam und zumeist drei oder vier Züge fahren lassen musste, bis ich mich überhaupt zur Tür des Zuges vorgekämpft hatte (man stellt sich ja am Bahnhof mittlerweile an). Allerdings war ich dann zerknirscht, dass die U-Bahnen in Hamburg abends nur alle fünf Minuten fuhren. An eine Taktung von eineinhalb Minuten gewöhnt man sich schnell! Es kostet mich aber schon ganz erheblich Nerven und sehr viel Disziplin, an der U-Bahn zu warten, bis alle Leute ausgestiegen sind. Meine Güte, man könnte die Wartezeit aller Züge in Hamburg halbieren, wenn man gleichzeitig ein- und aussteigen würde!
Jede größere chinesische Stadt hat heute ein U-Bahn-System, Straßenbahnen wurden wieder eingeführt. Magnetschwebebahnen wurden gebaut, Einschienenbahnen eingeweiht … China ist in Probier-Laune! Linienbusse mit Elektromotor sind in Deutschland nicht serienreif? In Peking werden keine anderen mehr zugelassen! Taxis – früher eine beliebte und günstige Alternative zum öffentlichen Nahverkehr – nutzt kaum noch jemand. Man ruft sich einfach per App einen Wagen, das ist zuverlässiger, schneller und günstiger. Na ja, oder man nimmt eben gleich ein Fahrrad: Smartphone raus, App angeschaltet, QR-Code am Rad gescannt und los geht’s! Sie stehen überall … mittlerweile sogar im Übermaß.