Urban Air Mobility
Wintersportler und Bergsteiger kennen das Gefühl: Seilbahnen transportieren einen vom Tal aus bequem durch die Luft weit hinaus in die bergischen Höhen. Die Passagiere genießen dabei hoch über dem Boden die schier unendliche Aussicht und lassen geräuschlos Hindernisse wie Hügel oder Flüsse hinter sich.
In Zeiten, in denen Klimaschutz und Infrastruktur mehr denn je ins Bewusstsein der Menschen rücken, kommen Seilbahnen daher vermehrt auch als Allzwecklösungen für städtische Gebiete in Frage. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat aus diesem Grund das Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE gemeinsam mit der Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH (VWI) beauftragt, eine Studie über die „stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte“ zu erarbeiten. Ergebnis soll ein Leitfaden für die „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV)“ sein, der in zwei Jahren vorliegen soll.
Neue Anreize setzen
Endlose Staus, überfüllte Busse und Bahnen, genervte Pendler: Immer mehr deutsche Städte stoßen an die Kapazitätsgrenzen ihrer Infrastruktur. Doch Seilbahnen könnten die Lösung sein. Gerade in städtischen Regionen, wo der Luftraum besonders viel Potenzial bietet, würde dieses Transportmittel durch seine speziellen Eigenschaften die Herausforderungen wortwörtlich auf einer neuen Ebene lösen. „Mit der Studie und dem Leitfaden wollen wir Anreize setzen, eine nachhaltige Mobilität im urbanen Raum zu fördern und das öffentliche Verkehrssystem sinnvoll zu ergänzen“, erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Steffen Bilger. „Unser Ziel ist, einen nationalen Standard für urbane Seilbahnen in Deutschland zu schaffen, an dem sich Städte und Kommunen orientieren können.“ Denn trotz der „beachtlichen Erfolge und nachweislichen Vorteile“ von Seilbahnen in vielen Metropolen weltweit, gebe es in Deutschland „wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich“.
Die Seilbahnen in den Städten Medellín, La Paz, New York, Portland, Algier, Lissabon, Brest, Bozen, London und Ankara zu untersuchen, ist daher ein Bestandteil der gemeinsamen Studie von Drees & Sommer und des VWI. Im Fokus der Analyse stehen jeweils der Einsatzzweck der Seilbahn, der Planungsprozess, die städtebauliche Integration, die Verknüpfung mit dem übrigen ÖPNV und die Auswirkungen auf den Verkehr. Abgeleitet werden sollen daraus Erkenntnisse für mögliche Seilbahnprojekte in Deutschland.
Auch Sebastian Beck, Infrastruktur-Experte bei Drees & Sommer und Projektleiter für die Studie, ist überzeugt: „Seilbahnen als Ergänzung zum bestehenden öffentlichen Nahverkehr werden in Zukunft eine nicht mehr wegzudenkende Option sein, zumal der Verkehr in Städten und Ballungsräumen zunehmend an seine Grenzen stößt.“
Als Transportmittel unschlagbar im Kosten-Nutzen-Vergleich
Staus, Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Flächeninanspruchnahme und Verkehrsunfälle zwingen die Städte zur Reduktion bestehender Belastungen. Hier kommt der große Vorteil der Seilbahnen ins Spiel: Diese nutzen den Luftraum weitestgehend unabhängig vom übrigen Verkehr, sind technisch ausgereift und erzeugen vor Ort kaum Emissionen. Vor allem aber sind sie leise, sicher, leistungsfähig und vergleichsweise kurzfristig realisierbar.
Von Luftschwebebahnen in den Bergen abgesehen, existieren in deutschen Städten bislang lediglich Seilbahnen in Berlin, Koblenz und Köln, die anlässlich der Bundesgartenschau entstanden sind. Allerdings gibt es bereits zahlreiche Überlegungen und unterschiedlich weit fortgeschrittene Vorhaben zum Bau von Seilbahnanlagen als Ergänzung zum bestehenden ÖPNV, wie beispielsweise in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Köln, München, Stuttgart oder Wuppertal. „Seilschwebebahnen stellen für die Verkehrsbetriebe und die politischen Entscheidungsträger ein noch relativ neues Verkehrsmittel dar, das andere, zum Teil anspruchsvollere Anforderungen hinsichtlich Planung, Kommunikation und Realisierung erfordert, als die bisher gängigen Transportmittel“, sagt Drees & Sommer-Experte Sebastian Beck.
Koblenz: Nicht ohne unsere Seilbahn
Die Erfahrung zeigt allerdings: Ist die Seilbahn erstmal Teil des Nahverkehrs, steigt die Akzeptanz in der Bevölkerung schnell an. Ein Beispiel, wie gut eine Seilbahn ankommt, ist Koblenz. Anlässlich der Bundesgartenschau 2011 entstanden, sollte die dortige Seilbahn längst abgebaut werden. Eine Koblenzer Bürgerinitiative hatte sich dann für ihren Verbleib eingesetzt. Drees & Sommer begleitete den Bauherrn bei Wettbewerb und Auswahlverfahren.
Für Sebastian Beck ist der Rückhalt der Bürger das entscheidende Erfolgskriterium: „Wenn die Seilbahn auch in Deutschland Teil des Nahverkehrs werden soll, ist es zwingend notwendig, die Bevölkerung von Anfang an mitzunehmen. Nur wer den Dialog sucht und offensiv kommuniziert, kann auch die Bedenken der Menschen berücksichtigen und ausräumen.“